29. Mai 2024

„Tief in unserem Herzen schwingt Siebenbürgen mit“: Podiumsdiskussion in Dinkelsbühl thematisiert „75 Jahre Verband der Siebenbürger Sachsen“

Dinkelsbühl – Das 75-jährige Jubiläum des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland fungierte als Titel der Podiumsdiskussion am Pfingstmontag in Dinkelsbühl. Die gehaltvolle Debatte zum Abschluss des Heimattages 2024 fand im dicht besetzten Schrannen-Festsaal statt.
Auf dem Podium im Schrannen-Festsaal ...
Auf dem Podium im Schrannen-Festsaal diskutierten, von links: Natalie Bertleff, Dr. Bernd Fabritius, Moderator Dr. Dr. Gerald Volkmer, Michael Schmidt, Dr. Daniel Zikeli und Horst Göbbel. Foto: Christian Schoger
Unter der Moderation des Historikers und Rechtswissenschaftlers Dr. Dr. Gerald Volkmer diskutierten Natalie Bertleff, Bundesjugendleiterin der Siebenbürgisch-Sächsischen Jugend in Deutschland (SJD), Dr. Bernd Fabritius, Ehrenvorsitzender des Verbandes und Präsident des Bundes der Vertriebenen, Horst Göbbel, Ehrenvorsitzender des Kreisverbandes Nürnberg, Michael Schmidt, höchst erfolgreicher Unternehmer in der Automobilbranche und Vorsitzender der M & V Schmidt-Stiftung, sowie Dr. Daniel Zikeli, Bischofsvikar der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien.

Dr. Dr. Gerald Volkmer, stellvertretender Direktor des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte des östlichen Europa (BKGE; Webseite: https://www.bkge.de) an der Universität Oldenburg, zudem Beisitzer im Bundesvorstand unseres Verbandes, hieß das Saalpublikum herzlich willkommen und führte in das Diskussionsthema ein, beginnend mit einem kurzen verbandsgeschichtlichen Abriss der Entwicklung der Organisationsstrukturen, Aufgabenbereiche und Mitgliederzahlen (Spitzenwert 25 000 Mitglieder im Jahr 2000). Der am 26. Juni 1949 in München gegründete Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V. vertritt die politischen, rechtlichen und kulturellen Belange der Siebenbürger Sachsen in Deutschland. Nach seinem stichwortartigen Rückblick stellte Volkmer das Podium vor; dabei sprach er bildhaft für die Konstellation der Diskussionsteilnehmer von einer „Geburtstagsfeier“ in der „Familienrunde“. Der Debattenverlauf erfolgte gut strukturiert mittels nach Themenbereichen gegliederter Fragestellungen des Moderators. Zunächst sollten die Podiumsteilnehmer spontan ein für sie persönlich bedeutsames Ereignis oder Jahr aus der 75-jährigen Verbandsgeschichte angeben.

Als jüngstes „Familienmitglied“ der drei versammelten Generationen äußerte sich die seit 2023 amtierende SJD-Bundesjugendleiterin Natalie Bertleff, Bildungsreferentin für kulturelle Bildung und internationale Jugendarbeit in der Geschäftsstelle der Deutschen Jugend in Europa im Landesverband Nordrhein-Westfalen. An erster Stelle stehe bei ihr die Nachwuchsveranstaltung „Unser Nachwuchs präsentiert sich“, die sie Jahr für Jahr mit großem Interesse begleite.

Als herausragend stufte Bernd Fabritius das Jahr 1996 ein, da ihn die damalige Landesvorsitzende in Bayern Hannelore Scheiber zum Verband gebracht hat, auf dass er sich als Rechtsreferent gegen die ungerechten Rentenkürzungen einsetze. Sein späterer Weg führte ihn bekanntlich zum Landesvorsitzenden, Bundesvorsitzenden und heutigen Ehrenvorsitzenden des Verbandes.

Michael Schmidt erinnerte sich gern zurück an das Jahr seines ersten Kontaktes mit der damaligen Landsmannschaft, 1982, an seine intensiven Verbindungen mit der Geschäftsstelle am Sendlinger Tor in München.

Daniel Zikeli führte verschiedene Begebenheiten an, bei denen er in Siebenbürgen Kenntnis von der Existenz der damaligen Landsmannschaft erlangte; als junger Theologiestudent habe ihm sein Lehrer Paul Philippi Einblick gegeben in landsmannschaftliche Positionen in Deutschland.

Für Horst Göbbel, im achtzigsten Lebensjahr stehend der Älteste dieser „Familienrunde“, ist das Jahr 1997 von besonderer Bedeutung. Als 53-jähriger Vorsitzender der Kreisgruppe in Nürnberg sei es damals gelungen, einen „inneren Disput“ zwischen den Vertretern der Heimatortsgemeinschaften in Deutschland und der Landsmannschaft zu beenden im Sinne der „Zusammenführung der beiden Organisationen“. Er habe seinerzeit auch als erster Vorsitzender der Heimatsortsgemeinschaften amtiert.

Volkmer wechselte in seinen Fragerunden zu weiteren Themenkomplexen, wie etwa der Zeitgeschichte. Nach Ausführungen Göbbels zur Person Robert Gassner ging Bernd Fabritius auf wirkmächtige Rechtsgrundlagen ein, darunter Regelungen des Aufnahmeverfahrens in Deutschland, Lastenausgleichs- und Fremdrentengesetz. Später ergänzte der Ehrenvorsitzende Fabritius, hieran anknüpfend, den Erfolg der Entschädigungszahlungen Rumäniens für die Verschleppung Deutscher nach Russland, überdies die Einbeziehung der Kinder, und dankte ausdrücklich Michael Schmidt „für dein Wirken im Hintergrund“. Applaus des Saalpublikums.

An Daniel Zikeli gewandt, thematisierte der Moderator das Selbstverständnis mittels der existenziell wichtigen, Familien entzweienden Frage nach dem Bleiben oder Gehen, konkret formuliert: „Ist es entscheidend, wo man wohnt, wo der Lebensmittelpunkt ist, oder entscheidet die Staatsbürgerschaft, ob man Siebenbürger Sachse sein kann?“ – Was uns alle verbinde, sei die Herkunft Siebenbürgen als „Wesensmerkmal unserer gesamten Identität“, antwortete Zikeli. Das habe er auch am Heimattag gespürt. „Irgendwo tief in unserem Herzen und in unserer Seele schwingt Siebenbürgen mit. […] Siebenbürger Sachse kann man überall sein.“ Beifallklatschen im Schrannen-Festsaal. Unmittelbar reagierend sprach Fabritius von einem „historischen Moment, dass der Begriff ‚Sommersachsen‘ damit endgültig abgeräumt ist“.

In einem weiteren Podiumsbeitrag blickte Michael Schmidt zurück auf seine damalige Projektarbeit in Siebenbürgen 1990, speziell auf das über das Sozialwerk finanzierte, heute in der Trägerschaft der Landeskirche stehende Altenheim in Schweischer.

Sodann eröffnete Volkmer ein letztes Kapitel, die Sicherung der Gemeinschaft für die Zukunft, und fragte zunächst die SJD-Bundesjugendleiterin, was die Jugend benötige, um gut arbeiten zu können. Vorrangig wichtig sei das Fortführen der Basisarbeit, wie sie Jugend- und Tanzgruppen bereits praktizierten, unterstrich Natalie Bertleff. Weiterhin brauche es wie bisher auch das „freie Agieren“ der sich vernetzenden Gruppenleitungen auf Kreis-, Landes- und Bundesebene. Es sei eine große Herausforderung, junge Leute für das ehrenamtliche Mitmachen zu begeistern.

Zur Bewahrung des immateriellen und materiellen Kulturerbes in Siebenbürgen nahm Bernd Fabritius dezidiert den rumänischen Staat in die Pflicht. Gerade im Hinblick auf die Kirchenburgen kritisierte er, dass Rumänien über Sicherungsmaßnahmen nicht vornehmlich nach ethnischen Kriterien entscheiden solle. Bischofsvikar Zikeli räumte seitens der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien ein: „Wir als kleine Gemeinschaft, die wir jetzt in Siebenbürgen leben, sind überfordert.“ Es seien einfach viel zu viele Kirchenburgen. Etliche Behörden und Bürgermeister hätten jedoch ihre Bereitschaft signalisiert, Kirchenburgen zu übernehmen und, als touristisches bzw. als Kulturprogramm, Geld zu investieren. Es gebe, so ergänzte Horst Göbbel, auch noch andere Möglichkeiten, das Kulturerbe zu sichern, nämlich durch das Engagement der Heimatortsgemeinschaften (HOG). „Und es geschieht seit Jahren außerordentlich viel“, konstatierte der frühere HOG-Vorsitzende.

Michael Schmidt bekräftigte seine Absicht, die finanzielle Förderung seiner Stiftung, der er jährlich etwa 300.000 Euro zur Verfügung stelle, auch künftig fortzusetzen.
Engagierte Podiumsdiskussion im dicht besetzten ...
Engagierte Podiumsdiskussion im dicht besetzten Schrannen-Festsaal in Dinkelsbühl. Foto: Christian Schoger
Als der Moderator die Diskussion für das Saalpublikum öffnete, meldeten sich zahlreiche engagierte Stimmen zu Wort. Bezüglich unseres immateriellen Kulturerbes rief die ehemalige stellvertretende Bundesvorsitzende Doris Hutter dazu auf, die sächsische Mundart verstärkt zu sprechen, besonders auch in der Begegnung mit den jüngeren Generationen. Die neue Vorsitzende der Landesgruppe Niedersachsen/Bremen Petra Volkmer sensibilisierte für eine achtsame Kontaktpflege mit allen unserem Verband angehörenden Landsleuten. Die stellvertretende Bundesvorsitzende und Kreisgruppenvorsitzende in München Heidi Mößner warb um Vertrauen für die Jugend, sie würde Verantwortung übernehmen und brauche hierfür unsere Unterstützung. Hannelore Scheiber äußerte sich optimistisch, dass der Verband sich auch künftig behaupten könne. Es sei allerdings besonders wichtig, dass jüngere und ältere Generationen „eine gegenseitige Wertschätzung leben“, „gemeinsam sind wir stark“. Thomas Şindilariu, Unterstaatssekretär beim Department für interethnische Beziehungen der Regierung Rumäniens, plädierte vor dem Hintergrund der sich kontinuierlich verringernden deutschen Minderheit für praktizierte Offenheit, „Siebenbürgen wird ein Fixpunkt bleiben für uns“. Er nutzte zudem die Gelegenheit, zur 38. Siebenbürgischen Akademiewoche, die Anfang Oktober in Michelsberg stattfindet, herzlich einzuladen, die als wichtiges Format sogar im Protokoll der deutsch-rumänischen Regierungskommission enthalten sei.

Es gab eine Reihe weiterer Publikumsbeiträge. Mit seinem Dank an das Podium und das Publikum schloss Dr. Gerald Volkmer die knapp zweieinhalbstündige, angeregte Diskussion. Ein Videomitschnitt der online live übertragenen Podiumsdiskussion ist auf dem Siebenbuerger.de-Videokanal auf YouTube abrufbar unter http://youtu.be/3gfWMr82g9c.

Christian Schoger

Schlagwörter: Heimattag 2024, Podiumsdiskussion, Verband, Jubiläum

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