14. Juli 2024

Hegt wird gesangen!: Ze Urbijen, äm Angderwååld

„Ze Urbijen, äm Angderwååld (Der Broktkråaånz)“ von Ernst Thullner 1898 in seinem Bändchen „Bä der Kalefōk. Geschichten uch Līdcher“ veröffentlicht, besingt die Lokalsage vom Brautkranz. Vermutlich stammt auch die eingängige Melodie im Walzer-Rhythmus (6/8-Takt) von ihm. Durch die sich Regelmäßigkeit des Metrums lang-kurz-lang-kurz und auch durch die Wiederholungen der Tonfolgen wundert es nicht, dass die Melodie schnell zu einem Ohrwurm wird.
Stoffgrundlage ist eine von Friedrich Müller (1828-1915) unter dem Titel „Der Brautkranz“ in seinen „Siebenbürgische Sagen“ (1857) veröffentlichte Sage. Sie erzählt, dass an der Säule der damaligen Bergkirche zu Urwegen (sie wurde 1870 bei einem Brand zerstört und steht heute als Ruine auf dem Bergfriedhof) ein Kranz abgebildet sei, der an eine tragische Geschichte erinnere: Die Tochter des Dorfrichters hatte sich in einen ärmeren Bauernsohn verliebt. Der strenge Vater verbot jedoch die Heirat und zwang seine Tochter, einen reichen Bauernsohn zu ehelichen. Gebrochenen Herzens brach die Braut in der Kirche zusammen und starb. Ihr Brautkranz wurde zum steinernen Totenkranz. Sage und Thullner-Lied fanden über die Schule große Verbreitung in Siebenbürgen.

Ein erstes Gedicht zum Stoff publizierte der Mühlbacher Dichter Josef Marlin (1824-1849) 1847 unter dem Titel „Die Rose der Urweg“. Etwa 20 Jahre später folgte Thullners Ballade in sächsischer Mundart und ging – trotz der 16 Strophen – auch dank der eingängigen Melodie bald in den Volksmund über. Auch Carl Römer (1860-1942) verfasste um die Jahrhundertwende die sächsische Ballade „De Brokt vun Urbijen“ (Me‘ Kängt, nea loss dich brieden) die von Hermann Kirchner (1861-1929) vertont wurde.

Zur Verbreitung dieser Lieder führten auch die zahlreichen Theateraufführungen von Stücken unterschiedlicher Autoren, die die Sage vom Brautkranz dramatisiert haben (siehe Siebenbürgische Zeitung vom 20. Februar 1999, Seite 9). So führte z.B. die Theatergruppe Augsburg unter der Leitung von Maria Schenker von 1994-1998 „Die Breokt vun Urbijen“ 25 Mal im Bundesgebiet auf, wobei Thullners Ballade als Gesangseinlage vorgetragen wurde. Durch die mündliche Verbreitung der Ballade haben Text und Melodie im Laufe der über 100 Jahre etliche Varianten erfahren.

Ernst Thullner (*1862 Birthälm, †1918 Mühlbach), nach dem Gymnasium in Schäßburg, studierte er in Graz Medizin und in Leipzig und Klausenburg Theologie und Pädagogik. Von 1885 bis 1887 wirkte er in Agnetheln und von 1987 bis 1890 in Mediasch als Lehrer und Schulleiter. Anschließend war er bis 1889 als Pfarrer in Dobring und Großpold tätig, von 1913 bis zu seinem Tode als Stadtpfarrer in Mühlbach. Aus seiner Feder stammen einige der bekanntesten siebenbürgisch-sächsischen Mundartlieder: Af deser Iërd, Äm Må (Der Må as wedder hä), De Biëtklok (Hiren ich de Biëtklok logden), Ergiëwung (Säng norr, säng, ta läwet Zeisken), Läw (Des Morjest, ih de Sann afgiht), Äm Frähjohr (Äm Frähjohr kåm e Vijjeltchen), Än ases Nobers Guërten und Schniël bekihrt (Et wor emol en reklich Med).

Im Vorwort seines ersten Bändchens „Ous der Rōkestuw“ (1892), das er seinem Schäßburger Gymnasiallehrer Michael Albert widmete, notierte er die Motive, die ihn zum Schreiben der Gedichte veranlasst haben. Thullners humoristische Gedichte und besinnlichen Lieder werden auch heute noch gerne rezitiert und gesungen und tragen somit auch heute noch zur Popularität der sächsischen Mundart bei. Hören Sie „Ze Urbijen, äm Angderwåld“, gesungen von Rosina Kasper und Maria Leprich in Niedereidischer Mundart, unter siebenbuerger.de/go/2L189.

Angelika Meltzer

Schlagwörter: Hegt wird gesangen, Lieder, Mundart

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Neueste Kommentare

  • 14.07.2024, 19:56 Uhr von Zacken: Herzlichen Dank Frau Meltzer, dass Sie diese traurige Ballade, die auch ein klein wenig zur ... [weiter]

Artikel wurde 1 mal kommentiert.

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