13. Januar 2008
Helfried Weiß: Welt abgebildet mit dem Anspruch auf Wahrhaftigkeit
Wenige Tage vor Weihnachten, am 6. Dezember des eben abgelaufenen Jahres, ist der aus dem siebenbürgischen Kronstadt stammende Maler, Grafiker und Kunsterzieher Helfried Weiß im Alter von 96 Jahren in Röhrmoos bei München gestorben, wo er mit der Familie seines Sohnes Ortwin in einem gemeinsam erworbenen Haus die letzten Jahre gelebt und bis vor kurzem noch gearbeitet hat. Das von ihm hinterlassene malerische und grafische Werk gehört mit zu dem Besten, was der östliche Landstrich, aus dem er kam, an Bildnerischem hervorgebracht hat.
In Erinnerungen, die er dem Publizisten und Kunsthistoriker Claus Stephani 2004 aufs Band gesprochen hat, äußerte sich Helfried Weiß unter anderem kurz auch über das, was ihm seine Herkunft bedeute, und gab lakonisch zu Protokoll, Kronstadt, der Ort seiner Geburt, mit wenig Unterbrechungen auch der seines Lebens und Schaffens über 75 Jahre lang, sei für ihn inzwischen „wie ein Phantomschmerz“, das ist das Wehtun von Gliedmaßen, die längst amputiert worden sind und sich dennoch von Zeit zu Zeit schmerzhaft zurückmelden.
Es muss also im Selbstverständnis dieses Künstlers eine sehr enge, intime, geradezu organische Verbindung zum Landstrich seiner Herkunft gegeben haben, so wie vom Rumpf zum Bein oder zu Arm und Hand. Und sie hat offenbar bis spät bestanden, diese Art von Bindung, auch wenn sich der Maler in den Jahren nach seiner Ausreise 1988 anderen Landschaften und anderen Gegenständen zugewandt hat. Sie war wohl von Anbeginn und bis zuletzt sicherer Teil des tragenden Grunds, auf dem der Suchende, der jeder Künstler ist, immer wieder Halt fand und von dem er ausgehen konnte auch zu neuen Ufern.
Geboren wurde Helfried Weiß am 8. August 1911 in Kronstadt, wo er das Honterus-Gymnasium besuchte und vom Maler Heinrich Schunn früh gefördert wurde. Sein Kunststudium begann er in Klausenburg, setzte es in Paris und Bukarest fort, um es 1937 an der Akademie für Angewandte Kunst in München abzuschließen. Danach war Helfried Weiß, der eine mehrköpfige Familie zu ernähren hatte, Kunsterzieher an unterschiedlichen Schulen in Rumänien, vor allem in Kronstadt, zuletzt an dem Gymnasium, das er als Achtzehnjähriger verlassen hatte. Nie hat er es sich leisten können, als freischaffender Künstler sich ausschließlich seiner bildnerischen Arbeit zu widmen. 1988 siedelte er als Rentner nach Deutschland aus, lebte zunächst in München und zuletzt in Röhrmoos. Nach dem Tod seiner Frau 1989 sei er wie gelähmt gewesen, doch zahlreiche Reisen nach Italien, die er in den neunziger Jahren mit einer neuen Gefährtin unternahm, das flimmernde Licht auf der südlichen Landschaft und deren farbenfrohe Lebendigkeit weckten seine Schaffenskraft aufs Neue: Es entstanden optimistisch heitere Aquarelle und Arbeiten in Mischtechnik, die nichts von dem Alter dessen ahnen lassen, der sie schuf. Da war er schon längst ein bekannter Maler und Grafiker. Bereits 1934 hatte er im Bukarester „Salonul Oficial“, der damals wichtigsten Galerie Rumäniens, ausstellen dürfen und auf sich aufmerksam gemacht. Es folgten weitere Ausstellungen in Rumänien, nach dem Krieg auch in mehreren europäischen Ländern, zuletzt mehrfach Einzelausstellungen in Deutschland. Dabei hat Weiß seitens der Kritik wiederholt Beachtung und Anerkennung gefunden, auch schon im kommunistischen Rumänien.
Verleiten jedoch ließ er sich dadurch weder zum Verrat an seiner Kunstauffassung noch zur Abkehr von einer bescheidenen und ernsten Selbstbeschränkung. Die Reihe seiner bildnerischen Erkundungen der Welt, die der Schreiber dieser Zeilen über mehrere Jahrzehnte hinweg publizistisch begleiten durfte, bezeugt einen hohen Grad an ethischer und ästhetischer Integrität, deren Maß der eigene Anspruch auf Wahrhaftigkeit war. Helfried Weiß ist stets er selbst geblieben. Er blieb es in den Zeiten realistisch-sozialistischer Edelschinken, als man den Wert einer Arbeit an der Zahl propagandistisch wirksamer Quadratmeter festmachte, die von der Malfläche eingenommen wurden, und er blieb es in den 1960er und beginnenden 70er Jahren, als in Rumänien plötzlich jeder nonfigurativ zu zeichnen und zu malen begann, bloß weil die Oberen es plötzlich und für kurze Zeit erlaubten.
Letzteres allerdings will nicht heißen, dass der Grafiker und Maler sich allem Neuen gegenüber unaufgeschlossen oder gar verstockt gezeigt hat. Bereits im April 1968, als in der rumäniendeutschen Kunstszene gerade mal erste, sehr zaghafte Öffnungsversuche zu registrieren waren, äußerte er in einem Pressegespräch seine Überzeugung, dass Kunstentwicklung in der Abschottung und losgelöst vom internationalen Zusammenhang der Moderne unmöglich sei, betonte aber zugleich, dass man bei aller „Aneignung von Neuem“ nie seine „Eigenheit“ aufgeben dürfe. Helfried Weiß hat sich im Laufe der Jahre durchaus auch anregen lassen, hat manchen Anstoß von außen mit Geschmack und Geschick seiner Arbeit nutzbar gemacht, auf eine natürliche und unforcierte Weise, freilich ohne Aufgabe seiner eigenen „Handschrift“. Sie hat sich realisiert vor allem in seinen Holz- und Linolschnitten. Er gilt unangefochten und zu Recht als „der Holzschnittkünstler“ der Siebenbürger Sachsen, der mit Druckstock, Schnittmesser und Stichel souverän umzugehen wusste wie sonst kaum einer. Meisterhafte Holzschnitte wie „Büffel in der Schwemme“ oder „Zu Tal“, auch seine Ansichten von Kirchenburgen gehören zum bleibenden Grundbestand siebenbürgischer Holzschnittkunst. Sichere Linienführung und ausgewogene Flächengestaltung tragen die Bildaussage, die im und vom Realitätsbezug lebt auf der Suche nach Kommunikation mit dem Betrachter, nach Mitteilung und Denkanstoß. Hier konnte sich denn auch des Künstlers Anspruch auf Wahrhaftigkeit voll realisieren, indem er letztendlich zum Anspruch auf Sinnstiftung durch das geschaffene und zu rezipierende Werk wird.
Damit freilich stehen wir wieder dort, wo wir nach der Bindung dieses Malers und Grafikers an sein Herkunftsland und die Stadt seiner Geburt fragten, diese „Stadt im Osten“, wie sie der Schriftsteller Adolf Meschendörfer genannt und romanhaft beschrieben hat. Von hier aus nahmen einst in Siebenbürgen Reformation und Humanismus ihren Lauf, von hier ging eine „Schulordnung“ aus, die in ihren kulturstiftenden Auswirkungen auf die deutsche Ethnie in diesem Landstrich bestimmend war. Doch an der wechselvollen und anstrengenden Geschichte dieser Stadt im gefahrenvollen Schnittpunkt zwischen Okzident und Orient lag es dann wieder auch, dass musische Unternehmungen dort irgendwie davor behütet waren, ins Kraut der Realitätsferne, der spielerischen Unverbindlichkeit und Nonkommunikation zu schießen. Ein Rest von Bodenhaftung und gesellschaftlicher, ziviler Verantwortung war immer präsent im dortigen Geistesleben.
Zieht man das in Betracht, darf man denn auch ruhig behaupten, dass Helfried Weiß sich der Welt seiner Herkunft, selbst in den späten Jahren seines Lebens und Schaffens, nie hat völlig entreißen lassen. Sie hat ihn geprägt und hat ihn begleitet durch Jahrzehnte des sich Mühens um bildnerische Deutung von Wirklichkeit und eigener Vision. Der hohe Anspruch, den er an sich und an seine Arbeit stellte, hatte seine Wurzeln eben in der Landschaft, die ihn hervorgebracht. Sie hat ihm mit die Hand geführt auch dann, wenn er sonst irgendwo in der Welt das Geschaute ins Bild zu zwingen unternahm.
Diese Landschaft, die Erinnerung an sie war ihm Halt in Leben und Schaffen so, wie seine Bilder uns heute Halt sind und bleiben, indem sie uns, seine Freunde und Bewunderer, begleiten durch die Tage.
Es muss also im Selbstverständnis dieses Künstlers eine sehr enge, intime, geradezu organische Verbindung zum Landstrich seiner Herkunft gegeben haben, so wie vom Rumpf zum Bein oder zu Arm und Hand. Und sie hat offenbar bis spät bestanden, diese Art von Bindung, auch wenn sich der Maler in den Jahren nach seiner Ausreise 1988 anderen Landschaften und anderen Gegenständen zugewandt hat. Sie war wohl von Anbeginn und bis zuletzt sicherer Teil des tragenden Grunds, auf dem der Suchende, der jeder Künstler ist, immer wieder Halt fand und von dem er ausgehen konnte auch zu neuen Ufern.
Geboren wurde Helfried Weiß am 8. August 1911 in Kronstadt, wo er das Honterus-Gymnasium besuchte und vom Maler Heinrich Schunn früh gefördert wurde. Sein Kunststudium begann er in Klausenburg, setzte es in Paris und Bukarest fort, um es 1937 an der Akademie für Angewandte Kunst in München abzuschließen. Danach war Helfried Weiß, der eine mehrköpfige Familie zu ernähren hatte, Kunsterzieher an unterschiedlichen Schulen in Rumänien, vor allem in Kronstadt, zuletzt an dem Gymnasium, das er als Achtzehnjähriger verlassen hatte. Nie hat er es sich leisten können, als freischaffender Künstler sich ausschließlich seiner bildnerischen Arbeit zu widmen. 1988 siedelte er als Rentner nach Deutschland aus, lebte zunächst in München und zuletzt in Röhrmoos. Nach dem Tod seiner Frau 1989 sei er wie gelähmt gewesen, doch zahlreiche Reisen nach Italien, die er in den neunziger Jahren mit einer neuen Gefährtin unternahm, das flimmernde Licht auf der südlichen Landschaft und deren farbenfrohe Lebendigkeit weckten seine Schaffenskraft aufs Neue: Es entstanden optimistisch heitere Aquarelle und Arbeiten in Mischtechnik, die nichts von dem Alter dessen ahnen lassen, der sie schuf. Da war er schon längst ein bekannter Maler und Grafiker. Bereits 1934 hatte er im Bukarester „Salonul Oficial“, der damals wichtigsten Galerie Rumäniens, ausstellen dürfen und auf sich aufmerksam gemacht. Es folgten weitere Ausstellungen in Rumänien, nach dem Krieg auch in mehreren europäischen Ländern, zuletzt mehrfach Einzelausstellungen in Deutschland. Dabei hat Weiß seitens der Kritik wiederholt Beachtung und Anerkennung gefunden, auch schon im kommunistischen Rumänien.
Verleiten jedoch ließ er sich dadurch weder zum Verrat an seiner Kunstauffassung noch zur Abkehr von einer bescheidenen und ernsten Selbstbeschränkung. Die Reihe seiner bildnerischen Erkundungen der Welt, die der Schreiber dieser Zeilen über mehrere Jahrzehnte hinweg publizistisch begleiten durfte, bezeugt einen hohen Grad an ethischer und ästhetischer Integrität, deren Maß der eigene Anspruch auf Wahrhaftigkeit war. Helfried Weiß ist stets er selbst geblieben. Er blieb es in den Zeiten realistisch-sozialistischer Edelschinken, als man den Wert einer Arbeit an der Zahl propagandistisch wirksamer Quadratmeter festmachte, die von der Malfläche eingenommen wurden, und er blieb es in den 1960er und beginnenden 70er Jahren, als in Rumänien plötzlich jeder nonfigurativ zu zeichnen und zu malen begann, bloß weil die Oberen es plötzlich und für kurze Zeit erlaubten.
Letzteres allerdings will nicht heißen, dass der Grafiker und Maler sich allem Neuen gegenüber unaufgeschlossen oder gar verstockt gezeigt hat. Bereits im April 1968, als in der rumäniendeutschen Kunstszene gerade mal erste, sehr zaghafte Öffnungsversuche zu registrieren waren, äußerte er in einem Pressegespräch seine Überzeugung, dass Kunstentwicklung in der Abschottung und losgelöst vom internationalen Zusammenhang der Moderne unmöglich sei, betonte aber zugleich, dass man bei aller „Aneignung von Neuem“ nie seine „Eigenheit“ aufgeben dürfe. Helfried Weiß hat sich im Laufe der Jahre durchaus auch anregen lassen, hat manchen Anstoß von außen mit Geschmack und Geschick seiner Arbeit nutzbar gemacht, auf eine natürliche und unforcierte Weise, freilich ohne Aufgabe seiner eigenen „Handschrift“. Sie hat sich realisiert vor allem in seinen Holz- und Linolschnitten. Er gilt unangefochten und zu Recht als „der Holzschnittkünstler“ der Siebenbürger Sachsen, der mit Druckstock, Schnittmesser und Stichel souverän umzugehen wusste wie sonst kaum einer. Meisterhafte Holzschnitte wie „Büffel in der Schwemme“ oder „Zu Tal“, auch seine Ansichten von Kirchenburgen gehören zum bleibenden Grundbestand siebenbürgischer Holzschnittkunst. Sichere Linienführung und ausgewogene Flächengestaltung tragen die Bildaussage, die im und vom Realitätsbezug lebt auf der Suche nach Kommunikation mit dem Betrachter, nach Mitteilung und Denkanstoß. Hier konnte sich denn auch des Künstlers Anspruch auf Wahrhaftigkeit voll realisieren, indem er letztendlich zum Anspruch auf Sinnstiftung durch das geschaffene und zu rezipierende Werk wird.
Damit freilich stehen wir wieder dort, wo wir nach der Bindung dieses Malers und Grafikers an sein Herkunftsland und die Stadt seiner Geburt fragten, diese „Stadt im Osten“, wie sie der Schriftsteller Adolf Meschendörfer genannt und romanhaft beschrieben hat. Von hier aus nahmen einst in Siebenbürgen Reformation und Humanismus ihren Lauf, von hier ging eine „Schulordnung“ aus, die in ihren kulturstiftenden Auswirkungen auf die deutsche Ethnie in diesem Landstrich bestimmend war. Doch an der wechselvollen und anstrengenden Geschichte dieser Stadt im gefahrenvollen Schnittpunkt zwischen Okzident und Orient lag es dann wieder auch, dass musische Unternehmungen dort irgendwie davor behütet waren, ins Kraut der Realitätsferne, der spielerischen Unverbindlichkeit und Nonkommunikation zu schießen. Ein Rest von Bodenhaftung und gesellschaftlicher, ziviler Verantwortung war immer präsent im dortigen Geistesleben.
Zieht man das in Betracht, darf man denn auch ruhig behaupten, dass Helfried Weiß sich der Welt seiner Herkunft, selbst in den späten Jahren seines Lebens und Schaffens, nie hat völlig entreißen lassen. Sie hat ihn geprägt und hat ihn begleitet durch Jahrzehnte des sich Mühens um bildnerische Deutung von Wirklichkeit und eigener Vision. Der hohe Anspruch, den er an sich und an seine Arbeit stellte, hatte seine Wurzeln eben in der Landschaft, die ihn hervorgebracht. Sie hat ihm mit die Hand geführt auch dann, wenn er sonst irgendwo in der Welt das Geschaute ins Bild zu zwingen unternahm.
Diese Landschaft, die Erinnerung an sie war ihm Halt in Leben und Schaffen so, wie seine Bilder uns heute Halt sind und bleiben, indem sie uns, seine Freunde und Bewunderer, begleiten durch die Tage.
Hannes Schuster
Schlagwörter: Kultur, Nachruf, Künstler, Kronstadt
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