30. April 2021
Aus dem zweigeteilten Leben eines herausragenden Künstlers: Walter Andreas Kirchner zum 80.
Als der aus dem Banat stammende Künstler Walter Andreas Kirchner 1981 mit seiner Familie nach Deutschland ausreisen konnte – seine Eltern hatten schon in den 1960er Jahren einen Ausreiseantrag gestellt –, stand er in seiner Lebensmitte. Seinen Weg als Künstler hatte er bereits gefunden und sich in der kunstinteressierten Öffentlichkeit des Banats und Siebenbürgens und darüber hinaus fachliche Anerkennung und einen guten Ruf erworben. Kunst ist sein Leben, vermerkten wiederholt wörtlich oder sinngemäß Kirchners Künstlerfreunde und kunstkritische Wegbegleiter. So ist es noch heute.
![Walter Andreas Kirchner: Spiegelungen. Öl auf ...](/bild/artikel/normal/2021/kirchner_spiegelungen_2021.jpg)
Walter Andreas Kirchner wurde am 25. April 1941 in der am Marosch-Ufer, im Dreiländereck Rumänien, Serbien und Ungarn gelegenen Großgemeinde Perjamosch geboren. Die dem Heranwachsenden so vertraute Banater Heide- und Flusslandschaft hinterließ bleibende Eindrücke, die in seine Kunst einfließen sollten. „Meine Landschaftsbilder, selbst die, die Abstraktionen zu sein scheinen, sind im Grunde genommen Erfahrungswerte von realen Landschaften meiner Heimat“, sagte Kirchner in den 1980er Jahren. Für immer haften geblieben sind Bilder der Flucht mit den Eltern vor der Roten Armee 1944 nach Österreich und die abenteuerliche Heimkehr. Die wiederholten Erzählungen in der Familie hielten die Erinnerung wach. Sie ging ein in Walter Andreas Kirchners monumentale Skulpturen zum Gedenken an die Opfer von Flucht, Vertreibung, Deportation und Aussiedlung sowie in bildnerische Darstellungen, die sich gegen Gewalt und Erniedrigung richten.
![Walter Andreas Kirchner: Autoporträt, ...](/bild/artikel/normal/2021/kirchner_selbstportrait_2021.jpg)
Im Herbst 1968 beteiligte er sich an einer großen Ausstellung im Brukenthalmuseum. Darüber berichtete Wolf von Aichelburg und hob Kirchners Skulptur „Das Paar“ als „reife Plastik“ hervor: „Der Gesamteindruck beim Betreten der Ausstellungshalle ist der eines sucherisch erregten, romantisch-expressiven Temperaments, einer Persönlichkeit, die – etwas hart gesagt – auf Biegen und Brechen zum Ausdruck kommen will. Das Gegenständliche ist meist nur Ausgangspunkt, Vorwand, um eine geistige Dynamik, einen plastisch unaussprechlichen Wert vor der Erstarrung im sinnlichen Außen zu bannen.“
![Walter Andreas Kirchner: Freilichtwerkstätte in ...](/bild/artikel/normal/2021/kirchner_toskana_2021.jpg)
Als er 1981 mit Frau und Kind nach Deutschland kam, musste er den Ertrag seiner bis dahin fünfzehn Jahre fruchtbarer Arbeit vorerst zurücklassen. Kirchner brachte jedoch das mit, was ihm niemand nehmen konnte: eine humane Gesinnung, ein gefestigtes Lebens- und Kunstverständnis, solide und vielfältige künstlerische und handwerkliche Erfahrung – eine tragfähige Grundlage für den Neubeginn in einer anderen Gesellschaft und Landschaft.
Kirchners ließen sich in Pforzheim nieder, wo er bei der Stadt als Kunst- und Sozialpädagoge Beschäftigung fand, während seine Frau Hedi als Lehrerin an einer örtlichen Schule arbeitete. Mit der ihn auszeichnenden Leidenschaft und Energie stürzte sich Walter Andreas Kirchner parallel dazu in die künstlerische Arbeit. Innerhalb von zwei Jahren nach der Aussiedlung zeigte er seine Werke in elf Ausstellungen! Bis 2005 folgten rund fünfzig Einzelausstellungen und Beteiligungen an Gruppenausstellungen in Deutschland, Frankreich und Italien sowie seine Auszeichnung mit internationalen künstlerischen Preisen und mit dem Donauschwäbischen Kulturpreis. Doch Wurzeln schlagen in fremder Erde vollzieht sich nicht reibungslos, wie man weiß. Kirchner schätzte und schätzt in der neuen Heimat vor allem „die künstlerische Freiheit und Entfaltungsmöglichkeit“. Mit Tendenzen, die dem Kunstmarkt nacheifern, wollte er sich nicht abfinden: „Ich sah mich vor die Frage gestellt: Ist Kunst eine Erwerbsmöglichkeit oder eine Äußerungsform? Ich habe mich aus dem Marktmechanismus ausgeklinkt und unabhängig gemacht, indem ich mein Brot auf andere Weise sicherte.“(Interview von Franz Heinz, 2001)
![Walter Andreas Kirchner: Tor zur Freiheit, ...](/bild/artikel/normal/2021/kirchner_tor_zur_freiheit.jpg)
Die Liebe als Urquell und Zauber des Lebens und der menschliche Körper in seiner Schönheit und starken Ausdruckskraft prägen als weitere zentrale, wenn nicht dominante Themen das künstlerische Schaffen unseres Jubilars. Zum „Hohelied Salomos“, einer Sammlung von schwärmerischen Liebesliedern, gestaltete er einen dreizehnteiligen Graphik-Zyklus, den er im Jahr der Bibel (1992) fertigstellte. Dieser Zyklus wurde in der Presse vielfach als besondere künstlerische Leistung kommentiert. „Die Religion bietet mir Gleichnisse. Sie ist ein Gefühl, doch nur das Gefühl ist wahr“, sagt Kirchner. Religiöse und mythische Motive wie Kreuzigung und Auferstehung, Prometheus, Phönix oder Hiob kommen dem Anspruch des Künstlers auf dauerhafte und gleichzeitig aktualitätsbezogene Wirkung der Kunst entgegen.
Zeitgeschichtliche Themen – Flucht, Deportation, Vertreibung und Heimatverlust – hat der Künstler in komplexen Plastiken oder Skulpturen-Gruppen aus der Sicht der Opfer gestaltet. Seine Monumentalplastik „Das Tor zur Freiheit“ (2001) steht in Landshut, die Plastik-Gruppe Schicksalswege“ (Marmor, 2016) zur Erinnerung an die Kriegs- und Vertreibungsopfer der Donauschwaben ist auf dem Kommunalfriedhof in Salzburg aufgestellt.
Dem Bildhauer Walter Andreas Kirchner verlieh der Erwerb eines Hauses in Montignoso/Toskana (1999), unweit der legendären Marmorbrüche von Carrara, neue Schaffensperspektiven. Er ist am Sehnsuchtsort aller Bildhauer angekommen, der edelste Marmor liegt nun in Blöcken in seinem Freiluft-Atelier auf eigenem Grundstück. Sommer für Sommer schuf er dort Marmor-Plastiken, die im Grunde sein früh geäußertes Credo an die Aktualität der „Formenreinheit im klassischen Sinn“ überzeugend bestätigen: Gestalten in leuchtendem Weiß, von makelloser Schönheit und spannender Emotionalität, unbändiger Dynamik oder völliger Gelassenheit – Kirchners Plastiken strahlen Wahrhaftigkeit aus und verzaubern den Betrachter.
Herzlichen Glückwunsch zum 80. Geburtstag, lieber Walter Andreas Kirchner!
Walter Engel
Schlagwörter: Kultur, Künstler, Banat, Maler, Bildhauer
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