1. August 2024

Nina Mays Debüt mit einer Glossen-Sammlung: Interview mit der Autorin

Im Pop Verlag, Ludwigsburg, erscheint in diesen Tagen eine Sammlung mit Glossen von Nina May unter dem Titel „Das gibt’s doch gar nicht! Die Walachei ist nicht im Nirgendwo, sondern mitten unter uns“. Der Verlag hat die bemerkenswerte Neuerscheinung mit seinem Debütpreis gewürdigt. Die Preisverleihung wird voraussichtlich während der Buchpräsentation, der „lansare“, Mitte September in Hermannstadt stattfinden. Wir werden Sie informieren. Nina May ist Chefredakteurin der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien (ADZ) und für viele unserer Leser kein unbeschriebenes Blatt. Das folgende Interview, das Walter Fromm mit ihr geführt hat, bietet Hintergrundinformationen zum Menschen und zur Autorin Nina May, die einen vertieften Zugang zu ihrem Debütband ermöglichen.
Nina May: Zwei Kulturen wie zwei Hüte. Foto: ...
Nina May: Zwei Kulturen wie zwei Hüte. Foto: George Dumitriu
Sie machen auf mich den Eindruck, in Ihrem Leben beruflich wie privat so ziemlich alles erreicht zu haben. Wie fühlen Sie sich nun bei Ihrem ersten Buch, das mit dem Debütpreis des Pop Verlags ausgezeichnet wurde?
Ja, es ist tatsächlich ein ganz neues Gefühl – eine Art Aufbruchstimmung! Mal sehen, wohin dieser Weg führt. Ziel habe ich mir keines gesteckt, es ist erst mal einfach Freude am Entdecken eines vielleicht neuen Weges.

Glossen sind persönliche Meinungsäußerungen. Man muss beim Einordnen, Vergleichen und Bewerten des Beobachteten seiner sehr sicher sein. Wie beschreiben Sie den Dreh- und Angelpunkt Ihrer Realitätsbewältigung? Aus welcher Realität stammt und auf welche trifft Ihr etwas „anderer Blick“?
Huch – einordnen, vergleichen, bewerten! Ich versuche eher, die Relativität der Standpunkte aufzuzeigen. Also, dass es mehrere legitime parallele Bezugsrahmen geben kann, die aber manchmal leicht gegeneinander verschoben sind, denn jeder lebt – kultur- und erfahrungsbedingt – in seiner eigenen Realität. Daraus ergeben sich viele komische Momente.
Mein Dreh- und Angelpunkt sind meine Werte: Alles mit Liebe betrachten, nur schmunzelnd kritisieren, den Spiegel vorhalten, eher Positives verstärken als Negatives anprangern. Mein „anderer Blick“ kommt daher, dass ich im Laufe meines Lebens selbst oft den Beobachterposten gewechselt habe: von Deutschland nach Rumänien, von der Physikerin zur Journalistin, von der Zurück-zur-Natur-Aussteigerin auf dem Dorf zur Chefredakteurin in der Hauptstadt... Alle diese Stationen waren zum gegebenen Zeitpunkt gut und alle Perspektivwechsel dann mit Aha-Erlebnissen und dem Gefühl einer geistigen Bereicherung verbunden. Nach solchen Erkenntnissen, die oft auch Paradigmenwechsel bedingen, und die ich früher glaubte, nur in der Wissenschaft finden zu können, suche ich auch schreibend ständig – und zwar auf allen Ebenen, sei es in Witzen oder in tief philosophischen Gedankengängen.

Irgendwo erwähnen Sie, dass sie als Glossenschreiberin vieles über sich preisgeben und sozusagen zum gläsernen Menschen mutieren. Gibt es einen Unterschied zwischen Ihrem erzählerischen Ich und der Person Nina May? Ihr erzählerisches Ich ist eine erfüllte Allrounderin, in ihm vereint sich alles, was heutzutage als wertig empfunden wird: geistige Arbeit paart sich mit Naturverbundenheit, das Stadtleben schließt ein arbeitsreiches Leben auf dem Lande nicht aus. Ihr erzählerisches Ich ist eine perfekte Work-Life-Balance(rin); es kommt als, um es in der witzigen Diktion Ihrer Glossen zu sagen, eierlegende Wollmilchsau herüber. Was meinen Sie dazu?
Ganz ehrlich? Den Unterschied gibt es nicht! Die Glossenschreiberin ist die – wenn auch manchmal leicht überspitzte – wahre Nina May. Bloß, dass die nur ganz wenige kennen. Man muss in der Tat sehr aufpassen, wie viel man von sich und den Menschen, über die man schreibt, verrät. Oder den Lesern zumutet! Es muss authentisch sein, darf aber weder in peinliches Hosen-Runterlassen noch in Selbstdarstellung ausarten. Eine Gratwanderung also, die mir so manche Schreibpause abverlangt hat. Mein erzählerisches Ich scheut aber auch die ironische Selbstkritik nicht (siehe „Kletterkurs für ältere Damen“), das finde ich wichtig. Aber das, was ich in den Glossen rüberbringen will, geht nur aus der Ich-Perspektive, zumal diese auch klarstellt, dass das keine allgemeingültigen „Weisheiten“ sind.
Naturnähe, Landleben, Eheglück sind Dinge, die mich erden und mir Achtung und Ehrfurcht abverlangen, mit zunehmendem Alter immer mehr. Deswegen sind sie auch Dreh- und Angelpunkt meiner Glossen. Der Wechsel zwischen ihnen schafft einen entspannten Ausgleich – doch zu den Multitasking-Superfrauen zähle ich ganz sicher nicht! Keine Rede von eierlegender Wollmilchsau, man muss viele Abstriche machen und das Chaos um sich herum mit einem Schmunzeln akzeptieren. Nobody is perfect.

Autoren verraten nie oder nur ungern ihre Methode. Ich will sie hier mal ­andeuten: Sie nehmen scheinbar ­disparate Fakten und Wirklichkeitsausschnitte und führen sie kühn zu einem neuen Ganzen zusammen. Die geistigen und sprachlichen Volten, die dabei geschlagen werden, sind ironisch und humorvoll, sie sind witzig, aber nie zynisch. Können Sie diesem strukturellen Deutungsansatz zustimmen?
Huch, ertappt! So schnell steht man nackig da! Ja, man dreht sich scheinbar im Kreis und – schwupp – ist man eine Windung in der Spirale höher und blickt ganz anders auf das zuvor Beobachtete. Das sind genau die Aha-Effekte, die ich liebe und mit denen ich gerne spiele! Zynismus liegt mir nicht, da fehlt die Liebe.

Es fällt auf, dass Sie in Ihren Glossen überwiegend das alltägliche Leben thematisieren. Sie versetzen das Triviale, das gewöhnliche Dasein durch tiefgründige, aber witzig-humorvolle Wendungen in den Rang von bemerkenswerten Ausnahmeerscheinungen. Was Sie in den Glossen seltener tangiert, sind offenbar die sozialen und politischen Verwerfungen in Rumänien.
Ich habe in der ADZ viel geschrieben über soziale Belange: Arbeitsausbeutung, Spaltung der Gesellschaft, Bildungsprobleme, Armutsfalle, Roma – aber nicht in den Glossen, dazu sind diese Themen viel zu komplex. Man läuft Gefahr, ins Klischee abzugleiten, und auf keinen Fall möchte ich die gängigen Rumänienklischees verstärken. Ähnliches gilt für Politik. Außerdem sind Politglossen kurzlebig: heute witzig, morgen vergessen.
Mir hat hingegen ausgerechnet der banale Alltag in Rumänien immer wieder eine faszinierende Tiefe geboten: eine Wasserschildkröte ausbrüten und den frisch geschlüpften Winzling in der Hand halten, ein hundertjähriges Holzhaus aus der Maramuresch ab- und wieder aufbauen und darin leben..., auf abenteuerlichen Straßen über Land fahren und mit einem Sack voller herzerwärmender oder skurriler Geschichten zurückzukommen… Dann die vielen Kulturschocks, Missverständnisse, sprachlichen Fauxpas, die kleine Denkanstöße, manchmal aber auch Lebenslektionen bieten. Wer schreibt über solche Dinge? Das ist meine Nische! Die schillernde Buntheit des Lebens in Rumänien schildern, so, wie ich sie erlebe. Mal bewundernd, mal kritisierend, mal staunend, mal verblüfft. Aber immer zutiefst ehrlich – und mit einem liebevollen Augenzwinkern im Hintergrund.

Beim Exodus der Deutschen aus Rumänien um 1990 waren Sie noch jung und lebten ein behütetes „deutsches Beamtenleben“. Den Untergang bzw. die Transformation der rumäniendeutschen Literatur zu einer Literatur anderer Dimensionen haben Sie nicht miterlebt. Dennoch bezeichnen Sie sich als rumäniendeutsche Autorin und der Pop-Debütpreis sieht Ihre Glossensammlung als Innovationsschub der aktuellen deutschsprachigen Literatur Rumäniens. Bitte beschreiben Sie diese Kontinuität etwas genauer.
Stimmt, das mag ziemlich naiv daherkommen! Mir fehlen die Wurzeln, die man strenggenommen braucht, um sich als Rumäniendeutsche zu bezeichnen. Hierzulande läuft die Identifikation ja fast immer über Geburtsort, Herkunft, Vorfahren, Kindheit, Elternhaus, Heimat... aber auch über die historischen Traumata und die Erfahrungen des Kommunismus, Elemente, die als stark verbindend empfunden werden. Und lauter Dinge, die bei mir keine Rolle spielen. Insofern falle ich vielleicht unangenehm aus dem Rahmen: Ich komme daher wie ein Blümchen, habe nie Salami mit Soja gegessen und keinen Unterricht in ungeheizten Klassenzimmern erlebt... (denken Sie sich an dieser Stelle ein augenzwinkerndes Smiley).
Aber – was zum Geier bin ich dann? Die Bundesrepublik ist inzwischen so fern wie ein früheres Leben. Mein Lebensschwerpunkt ist nun mal Rumänien, hier habe ich Ehemann, Haus, Beruf. Hier habe ich mehr als in jeder Etappe zuvor – oder überhaupt erstmals im Leben – Wurzeln geschlagen. Und besteht nicht mein Körper längst zu 100% aus „rumänischer Erde“, wie in der Glosse „Erdhaufenphilosophie“ beschrieben? So verorte ich mich, auf Deutsch schreibend, auf jeden Fall in Rumänien.
Hinzu kommt die langjährige Tätigkeit bei der Allgemeinen Deutsche Zeitung für Rumänien. Ich habe im Zeitraffer viel Wissen über die deutsche Minderheit aufgeholt, das mir zwar im direkten Erleben fehlt, aber das schafft trotzdem ein Gefühl der Nähe. Und habe viele Erfahrungen gemacht, die ausgewanderte Rumäniendeutsche sicher kennen – bloß umgekehrt halt, als Einwanderer nach Rumänien.
Natürlich lebt man auch immer zwischen den Welten – und da sind sie schon wieder, die beiden gegeneinander verschobenen Realitätsrahmen, die mich stets inspirieren! Das muss er sein, der Schub der Innovation ...

Nina May: „Das gibt’s doch gar nicht! Die Walachei ist nicht im Nirgendwo, sondern mitten unter uns“. Glossen, erste Staffel. Reihe Fragmentarium, Bd. 30, Traian Pop Verlag, Ludwigsburg, 2024, 372 Seiten, 24,90 Euro, ISBN 978-3-86356-405-6

Schlagwörter: Buch, Nina May, Interview

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