27. Juni 2024

Kreisgruppe Heidenheim: „Kathrengeball ohne Kathrengen?“

Wir befinden uns als Gäste im Siebenbürgerhaus Heidenheim. Es ist der 28. April. Der „Kathrengeball“ wird aufgeführt von der Heidenheimer Sächsischen Theatergruppe, geleitet von der Lehrerin Helga Schuster, die für Regie und Ausstattung verantwortet. Es ist an diesem Aprilwochenende schon die dritte Vorstellung im bis zum letzten Platz ausverkauften Saal. Innerhalb von drei Monaten hieß es für das Team: Auswendiglernen, Rollen auf Sächsisch einstudieren, akribisches Proben, um das anspruchsvolle Bühnenstück von Frida Binder-Radler zur Aufführung zu bringen. Das überpünktliche, festlich gekleidete Publikum ist da; Begrüßungen, Umarmungen.
Der Gong ertönt. Ruhe im Saal. Vorhang auf! Unsere neugierigen Blicke richten sich auf das Bühnenbild, dem Spielplatz eines Weinfestes in einem Kokeltaler Weinberg. Wir werden auf einen 16. Oktober der „alten Zeiten“ (um 1975) zurückversetzt, den Tag des Gallus-Fests.
Heidenheimer Theatergruppe spielt Mundartstück ...
Heidenheimer Theatergruppe spielt Mundartstück von Frida Binder-Radler. Foto: Günther Dengel
Traditionsgemäß liegt bei großen Festen das Bekochen in der Macht der Frauen. Diesmal bei den drei verwitweten „Kathrengen“, hervorragend gespielt von Monika Wälther, Gerda Wegmeth und Helga Schuster. Ihre Gespräche, ihre Klagen und Sehnsüchte führen das Publikum in das bevorstehende Geschehen ein. Man nimmt Anteil an deren Herzeleid und anscheinend vergeblicher Hoffnung auf eine neue Ehe, diesmal mit den noch alleinstehenden drei Burschen des Dorfes. Hübsch gekleidet, also fürs Fest „gerichtet“, wie die Sachsen zu sagen pflegen, sehnen sich die Kathrinen danach, endlich Bräute zu werden. Gerjen Hans (Michael Wegmeth), Wagnar Misch (Günter Dengel) und Mierten (Martin Schuster) wären zu haben, aber wollen sich nicht binden. Es fehlt natürlich nicht der dorftypische „Märenzīker“ Thes (Adelheid Schenker). Die neugierige Gerüchteverbreiterin verspricht, zu jeder Neuigkeit „wie ein Grab“ zu schweigen. Gerade deshalb wird sie zur Verbreitung von „vertraulichen“ Nachrichten benutzt. Sie ist die Mutter von Renate (Lara Schuster) und Agathe (Nadine Rill), die noch keinen Bräutigam haben. Lis (Kathi Bartesch) und Stippes (Georg Braisch), Leute aus dem Volk, ergänzen das bunte Bild eines Winzerdorfes aus dem Siebenbürger Weinland.

Der Anstoß zu einer unvorhersehbaren, teils komischen Dramatik ergibt sich aus zwei überraschenden Nachrichten, die ins Fest hereinflattern: Ein Brief bringt Botschaft in die Winzerküche: zwei Vettern von Simen Treng kommen aus dem Westen auf Besuch. Es sind Getz (Roland Bayer) und Karl (Fabian Knäb), die nun sehnsüchtig erwartet werden. Zweite Neuigkeit: Balthes (Tom Weber), der Direktor der Staatsfarm, will den „Kathrengeball“ mangels Kathrinen im Dorfe als unbegründet und sinnlos abschaffen. Eine Liste germanischer Frauennamen und sogar mehrfacher moderner „Lolitten und Melitten“, sollte das Fehlen der Kathrinen im Dorfe bestätigen. Mit Riesenkochlöffeln bewaffnet, bestätigen die Katharinen dem Vorsitzenden, dass sie doch da sind und „überzeugen“ diesen ihres Rechtes auf den „Kathrengeball“. Mit den gleichen Kochlöffeln winkend, laden sie singend alle Gäste zum Weinlesefest ein: „Kutt nor schiëll erbei! Kutt nor schiëll erbei aft Wengliesfäst wo de Weimer reift…“

Pause. Gäste und Theatergruppe feiern bei reichem Buffet und echtem Kokeltaler Wein in alter Tradition das Gallusfest. Zurück auf unseren Plätzen im Saal, erwarten wir den eigentlichen „Kathrengeball“. Vorhang auf zum zweiten Teil! Die „Detschloingder“ mit der „Luxmaschīn“ sind da. Es gibt ein herzliches Begrüßen. Die Gäste fühlen sich daheim wie in „Alten Zeiten“. Wie einst erleben sie auch die Rockenstube bei Spaß und melancholischem Gesang das Lied „Hīmet“.

Wie bekannt, holte sich manch ein „Deutschländer“ die Braut aus der einstigen Heimat. Thes, der „Mäirezīker“, erhoffte sich auch zwei wohlhabende Schwiegersöhne. Die Töchter wurden beim städtischen „Stutzer“ der altmodischen Zöpfe befreit, denn ein Bubikopf sei modern. Und zum Bubikopf gehören sich städtische Kleider. Der Traum der Mutter erfüllt sich aber zum Leid von Agathe und zur Genugtuung von Renate nicht. Zwischen den „Deutschländern“ und den Töchtern wollte und konnte es nicht funken. Und wie endet der Liebeskummer der Kathrinen? Die Vettern aus Deutschland erlauben sich mithilfe der Kathrinen und des dazu benutzten „Märenzīkers“ Thes einen Streich, der zur Lösung führen wird.

Ende gut – fast alles gut? Der einsichtige Wagner Misch, der „Soffer“, wird die von ihm begehrte Welther Treng dem zur Heimkehr entschlossenen Karl überlassen müssen. Die „Ständchenmacher“ singen den drei Threngen, den neuen Bräuten „Äs et wohr, watt de Lekt erziëlen?“ und das altbekannte Brautlied „Hirst tea do de Nuechteguel viur dem Fenster saingen“. Mit dem „Hochzeitslied“ und allgemeinem Jubel endet die Vorstellung. Bei anhaltendem Applaus fällt der Vorhang. „Zugabe, Zugabe!“ ruft das dankbare Publikum. „Welches Lied?“ – „Alle! Alle!“ – „Nur zwei!“, gestattet das Ensemble: „Nuechteguel äm Riuseschäden“ und „Äs et wohr, watt de Lekt erziëhlen!“. Einfühlsam begleitete die sechzehnjährige hochbegabte Pianistin Anna Schuster alle während der Aufführung dargebotenen volkstümlichen Lieder aus dem letzten Jahrhundert. Wie gut, dass es Anna gibt! „Kathrengeball“ – Schwank oder Singspiel? Wir sagen: Schwank mit viel Gesang. Meisterhaft gelang es der geübten Regisseurin Helga Schuster, an passender Stelle, zusätzlich zu den vorgesehenen, mehrere Lieder aus der reichen Fundstätte der Schriftstellerin Frida Binder-Radler einzubauen. Die begabten Sänger, Maria Hermann und Georg Braisch, wurden ins temperamentvoll singende Ensemble extra bestellt. Textpassagen für des „Märenzīkers“ Tochter Agathe sowie für den bedauernswerten „Soffer“ wurden eigens für deren Rollen entworfen. Den Souffleusen Maria Hermann und Anna Wotsch sei gedankt! Sie sorgten für den flotten Verlauf der schwierigen Dialoge. Gedankt sei den Kulissenbauern, besonders für ihre wohlinspirierte Zweiteilung der Bühne, die den zügigen Verlauf des Spiels ermöglicht. Und nicht zuletzt: Auszeichnung für die freiwilligen Ausrichter des in der Pause erlebten Gallusfests in den Räumlichkeiten des Vereinsheim der Siebenbürger Sachsen in Heidenheim.

Fazit: Mit dem „Kathrengeball“ ist dem Zuschauer ein hochwertiges Theaterereignis geboten worden. Unterhaltende Atmosphäre, Druck auf manche Tränendrüse, begeisternder Applaus haben die Güte des Spiels und die Kompetenz bei der Darstellung der dem Dorfleben typischen Charaktere bestätigt. Dynamik, Gestik, Gesichtsausdruck, Tonfall, Lautstärke: Alles hat gepasst und ist zu Recht belohnt worden. Die Jugend ist zur Zufriedenheit der Eltern und Großeltern ernst bemüht gewesen, sogar die Zunge zerreißenden Ausdrücke aus der Mundart korrekt auszusprechen. Das Team, beschäftigt auf und hinter der Bühne in harmonischem Miteinander, bewies soziale und moralische Kompetenz im Kulturleben unserer Gemeinschaft. Auf dem Podium und im Saal wurde nur Sächsisch gesprochen und gesungen. Die Begeisterung für die Muttersprache unserer Vorfahren lebt im Theater fort.

Wolfgang Binder

Schlagwörter: Heidenheim, Theater, Mundart, Binder-Radler

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