22. Juli 2024

Ein 40 Jahre alter Film hält Wort und Bild: Frieder Schullers Spielfim „Der Glockenkäufer“

Es sind jetzt genau vierzig Jahre, dass ich an einem Julinachmittag der Einladung des Bonner Kulturamtes ins Kino Rex folgte, um der Premiere eines Spielfilmes beizuwohnen. Da ich meine Jugendjahre in Siebenbürgen verbracht hatte und nach der Auswanderung mit meinen Eltern in den Westen die alte Heimat recht schnell ohne Sehnsucht fallen ließ, dachte ich diesmal der Neugier des passionierten Kinogängers nachzugeben. Immerhin das Thema des Filmes war mir aus der Presse bekannt, und der Filmtitel selbst erinnerte mich an mein ehemaliges dörfliches Aushelfen beim Glockenläuten, honoriert mit ganzen 5 Lei: „Der Glockenkäufer“. So saß ich im ausverkauften Rexkino, neben mir nicht nur meine Eltern, sondern auch ein Studienfreund, der es sich nicht entgehen lassen wollte, bei einem Film dabei zu sein, der von einer schaurigen Produktionsgesellschaft Transsilvania Film GmbH hergestellt wurde.
Es kam, wie ich es nicht erwartet hatte. Meine Eltern weinten, mein Freund war amüsiert, mich packte eine aufrichtige Bestürzung. Also das gibt es noch in meiner ehemaligen Heimat Rumänien, Menschen, die singen, hoffen, lieben, trauern und ihren altväterlichen Dialekt sprechen? Eine Welt tat sich auf, die in der Erinnerung verdrängt, hier auf der Leinwand nicht geisterhaft, sondern sehr real ihr Dasein beanspruchte. Der Film ließ mich nicht mehr los, umso mehr da es mich nach dem Studium ins Mediengeschäft verschlug und auch Siebenbürgen nicht nur darum immer näher zu liegen kam. Bei Gelegenheit lernte ich den Drehbuchautor, Regisseur und Produzenten in einer Person, Frieder Schuller, kennen, Gespräche und Einsichten ergaben sich, die viel mit der Problematik eines Filmemachers überhaupt, aber speziell mit der eines siebenbürgisch-deutschen Regisseurs im damaligen kommunistischen Rumänien zu tun hatten. Als erstes würde ich gerne eine Antwort auf eine essenzielle Frage erhalten. Es wurden in den letzten vierzig Jahren unzählige Bücher dick und dünn über Siebenbürgen publiziert, aber außer dem rumänisch-deutschen Naziverschnitt nach dem Erfolgsroman „Der geköpfte Hahn“ oder hie und da ein deutscher Fernsehfilm mit Mafiatourismus in Siebenbürgen kenne ich keinen weiteren wahrheitsnahen Spielfilm, gedreht mit Siebenbürger Sachsen vor Ort in ihrer gegenwärtigen oder damaligen Heimat.

Selbstverständlich dominiert seit altersher in siebenbürgischen Pfarramtskanzleien, Lehrerstuben und andern Erinnerungsklausen das Buch. Der Spielfilm, weltweit längst auf seiner publikumswirksamen Überholspur, streifte das siebenbürgische Innen- wie Außenleben kaum. Wie gesagt, in vierzig Jahren allein „Der Glockenkäufer“, schlecht und recht, aber vorhanden. Von nicht unkompetenter Kennerseite, Josef Balazs, sogar schon in den Rang eines Kultfilmes erhoben (siehe Josef Balazs: „Dem Theater mit Hingabe verschrieben – Schauspie­ler Hannes Höchsmann verabschiedet sich von der Bühne“).

Bundesdeutsches Medienecho auf Frieder Schullers ...
Bundesdeutsches Medienecho auf Frieder Schullers Film „Der Glockenkäufer“
Videoaufnahmen mit Sang und Klang geistern bis zum Überdruss durch die siebenbürgische Befindlichkeit, aber den Mut, das Abenteuer, einen Spielfilm mit authentischem Wort- und Bildmaterial über diese unsere Befindlichkeit zu initiieren und zu realisieren, scheint niemand heute aufbringen zu wollen. Oder zu können. Denn einen 90 Minuten Spielfilm, sei es auch nur fürs Fernsehen, zu produzieren kostet mehr als das Hundertfache der Druckkosten eines üblichen Romans. Und damit sind wir im Jahr 1982, als Frieder Schuller nach 19 Volvofahrten nach Bukarest – wohlgemerkt, es war ein Kombi und bevor er mit Filmrollen bepackt wurde, beförderte er andere Begehrlichkeiten – endlich mit der staatlichen Romaniafilm einen Koproduktionsvertrag unterzeichnen konnte. Die Genossen stellten ungeniert Bedingungen, das Wort Zensur lag in der Luft. Aus Deutschland sollten nur der Regisseur sowie der Hauptdarsteller, der bekannte Tatortkommissar Werner Schumacher, am Set erscheinen, die gesamte Crew musste von der rumänischen Seite eingekauft werden. Nach zähen Verhandlungen gestatteten die rumänischen Ordnungshüter immerhin einem Westdeutschen, einen Film über die Gegenwart der deutschen Minderheit im Land zu drehen. Das allgegenwärtige Thema damals, das Warten auf den Pass, durfte Schuller nur verklausuliert in seinen Film schmuggeln.

Wie die Dreharbeiten an dieser fragilen Produktion in einem totalitär kontrollierten Staat letztendlich durchgeführt werden konnten, belegen nicht nur Mitschnitte einer Zweitkamera des allgegenwärtigen Assistenten Dan, zahlreiche Fotos sowie Erinnerungsprotokolle und natürlich die minutiöse Überwachungsregie der unermüdlichen Securitate. Vom großartigen Kameramann Florin Mihăilescu bis zum letzten Kabelträger wurde vom vorhandenen Kaffee am Drehort geschwärmt, auch waren die sächsischen Dörfer eine ergiebige Fundgrube für die leeren Kühlschränke der Mitarbeiter zu Hause. Viele der Bukarester Romaniafilmer sahen zum erstenmal eine siebenbürgische Kirchenburg, staunten bei soviel nichtrumänschem Reden, als ob sie ein bisschen in Deutschland wären, wunderten sich aber nicht, als vor der Durchquerung des damals schwarzverpesteten Kleinkopisch Unbekannte die Arriflexkamera requirierten und sie nur am Zielort Wurmloch wieder zurückerstatteten. Denn auch der Glockenkäufer könnte ja eine verkappte Spionagegeschichte sein. Jedem Stromausfall, Benzinmangel oder nervenstrapazierender Unpünktlichkeit zum Trotz: dieser Spielfilm, in dem hauptsächlich rumäniendeutsche Schauspieler (Kurt Conrad, Klaus Zay, Peter Schuch) neben einheimischen Laiendarstellern (Maria Gierlich, Bewohner von Waldhütten) ihren Auftritt hatten, konnte nach einem Jahr alle Hürden der Entstehung in Rumänien überwinden. Die Hürden des Bestehens in Deutschland sollten sich als schwieriger erweisen.

Nach überaus lobenden Besprechungen in regionalen sowie überregionalen deutschen Zeitungen – es wurde auf die Einmaligkeit dieses Films in der gegenwärtigen politischen Situation, auf die menschlich nachvollziehbare Trauer um eine ferne, nicht für alle verlorene Heimat sachlich eingegangen – gab es heftigen Widerspruch von Vertretern jenes Publikums, an das sich die Filmbotschaft eigentlich wenden wollte. Wortführer der siebenbürgischen Landsmannschaft 1985 setzten sich damals wohl aus einleuchtendem Grund für die Rettung der in Rumänien verbliebenen Siebenbürger Sachsen ein, also für die Auswanderung nach Deutschland. Sätze wie die des Lehrers aus dem Glockenkäuferfilm wurden damals auch vielleicht absichtlich missverstanden: „Nehmen Sie uns mit Ihrer westlichen Überlegenheit nicht die Chance, hier zu leben und zu sterben… Sie werden in München erzählen, dass Sie Ihre alte Heimat entdeckt haben. Hier jedoch wird sie durchgestanden, erduldet diese Heimat... Muttersprache ist hier eine Leistung.“ Der Film sah sich konfrontiert mit dem Vorwurf, die desolaten Zustände im Land nicht beim Namen zu nennen, nicht konkret die Schuldzuweisung an der Auswanderung der Siebenbürger Sachsen dem kommunistischen System anzulasten. Natürlich hätte Schuller keinen Meter des belichteten Fujicolor-Materials mit verdächtigem Inhalt aus dem Land gebracht, denn die Entwicklung des Negativs sowie Kopien mussten im hauseignen Laboratorium im rumänischen Buftea getätigt werden. Doch wer Augen und Ohren hat, konnte oft am Rande kleine Szenen mitbekommen, deren Aussagekraft genug über den dortigen Alltag verriet: „Werden hierzulande keine Brücken mehr gebaut... Ihr alle müsst auf Sirenen hören… Computer werden hierzulande auch einmal zusammengelötet, aber Glocken nie mehr gegossen…“ Dinkelsbühl wendete sich verschämt von der Aufführung des Filmes ab.

Diese Missachtung des ersten Spielfilms über die damalige Situation der Siebenbürger Sachsen von Seiten einer anerkannt kompetenten Stelle hatte seine Folgen. Die Produktionskosten des inzwischen in perfekter Sendekopie vorliegenden Kinofilms beliefen sich inzwischen mit Synchronisation und Postproduktion auf über eine Million Mark, nichts Ungewöhnliches im damaligen Filmgeschäft. Die Finanzierung kam zum Großteil von einem Oldenburger Siebenbürgenfan, aufgestockt von der österreichischen Filmförderung und weiter von zuweilen unzufriedenen Anlegern. Ein beachtlicher Teil dieser Unkosten hätten sich erübrigt, wäre die Antwort besagter damaliger Wortführer an das Referat für Kultur und staatsbürgerliche Bildung des Bundesministeriums des Inneren (BMI) nicht so negativ ausgefallen. Befürwortend fragte damals Bonn in München nach, ob der Film „Der Glockenkäufer“ nachträglich angekauft werden soll, da er „Die Geschichte der ältesten deutschen Auslandsgruppe eindrucksvoll dokumentiert und eine breite Öffentlichkeit mit einem wichtigen Teil des südostdeutschen Kulturgutes bekannt machen kann, dessen Leistungen durch die rumänische Assimilationspolitik in Vergessenheit zu geraten droht.“ Die Stellungnahme der um ein Urteil Gebetenen, dieser Film habe nichts mit der Situation der Deutschen im gegenwärtigen Rumänien zu tun, konnte nicht abweisender sein.

Trotzdem, dank der digitalen Vervielfältigung, und nicht nur darum, wurde der Film zum Selbstläufer. Niemand fragt heute, ob die in Rumänien verbliebenen Sachsen eine Existenzberechtigung haben, ja man fördert ihr Dasein. Der Film fand im rumänischen Fernsehen zweimal, im deutschen Fernsehen einmal seinen Platz. Weitere internationale Anstalten schlossen sich an. Ich war bei einer randvollen Vorführung in Heilbronn dabei und erlebte, wie die Fragen zum Film zwischen gestern und heute ein zeitgenössisches Publikum interessieren. Das Geschehen auf der Leinwand berührt und reißt mit. Schon vierzig Jahre, ohne dass eine ähnliche Filmgeschichte in Aussicht ist.

Arno Wesel

Schlagwörter: Film, Schuller, Glockenkäufer, Fernsehen, Filmemacher

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