8. Juli 2024

Von der Securitate drangsaliert und in den Tod getrieben: Zum 125. Geburtstag von Erwin Wittstock

Heute hierzulande eher vergessen und verdrängt, gilt Erwin Wittstock (1899-1962), an dessen 125. Geburtstag am 25. Februar l. J. diese Zeilen erinnern möchten, bei einer literarisch informierten Leserschaft immer noch als der bedeutendste siebenbürgisch-deutsche Erzähler. Sein Name stand und steht für verlässliche und entwickelte Schreibkunst, seine Novellen („Die Verfolgung“, „Der Viehmarkt von Wängersthuel“, „Miesken und Riesken“, „Der Sohn des Kutschers“ u.a.) und Romane („Bruder, nimm die Brüder mit“, „Das Jüngste Gericht in Altbirk“, „Januar ’45 oder Die höhere Pflicht“) sind Zeugnisse sensibler und intensiver Erinnerungskraft. Kein anderer sächsischer Autor hat siebenbürgisches Leben so anschaulich und unterhaltsam, so spannend und überzeugend in seinen Werken zu spiegeln vermocht wie Erwin Wittstock. Zu Recht erblickte sein vormals nicht geringer, heute jedoch arg geschrumpfter Leserkreis in ihm den wehmütigen, aber unsentimentalen Chronisten seiner geschichtlichen und existentiellen Erfahrungen.
Waldemar Schachl: Erwin Wittstock, ...
Waldemar Schachl: Erwin Wittstock, Kohlezeichnung, 1955, Privatbesitz Kronstadt
Erwin Wittstock, der zu Lebzeiten ein gefeierter Autor war, in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen auch in Deutschland aufgrund der besonderen politischen Konjunktur zu Ansehen gelangte und dessen Werke auch im kommunistischen Rumänien und in der damaligen DDR immer wieder aufgelegt wurden, stand damals auch im Mittelpunkt literaturgeschichtlicher Unternehmungen.

Die unliebsamen Erfahrungen, die Wittstock wie viele andere rumäniendeutsche Schriftsteller und Geisteswissenschaftler mit dem rumänischen Geheimdienst Securitate machen musste, wurden erst vor Kurzem bekannt. Aus dem Buch „Bespitzelt und bedrängt – verhaftet und verstrickt“ (2023) des Literaturhistorikers Stefan Sienerth werden weiter unten aufschlussreiche Passagen übernommen, wobei aus Raumgründen auf rumänische Originalzitate und Quellenangaben verzichtet wird.

Flächendeckende Kontrolle

Die Mappen, in denen die Securitate Informationen über Erwin Wittstock gesammelt hat, werden im Bukarester Archiv des Nationalen Rates für das Studium der Unterlagen des kommunistischen Geheimdienstes (Consiliul Naţional pentru Studierea Arhivelor Securităţii, CNSAS) aufbewahrt. Es sind vor allem drei Dossiers von insgesamt über tausend Seiten, die zahlreiche Daten auch über andere rumäniendeutsche Autoren enthalten, darunter auch viele beidseitig beschriebene, sogenannte „file“. Möglicherweise gibt es von der Securitate gehortete Materialien über Erwin Wittstock in weiteren Konvoluten, die mir bislang nicht zugänglich gemacht worden sind und somit nicht eingesehen werden konnten.

Aus den von der Sicherheitsbehörde gehorteten Materialien ergibt sich das Bild einer Situation, in der vorherrschend Angst, Verunsicherung und Nöte das Leben bestimmten. Dass der kommunistische Staat ein weitverzweigtes Spitzelnetzwerk unterhielt, dürfte Erwin Wittstock wohl erahnt haben, nicht jedoch, dass dies bereits in den 1950er und 1960er Jahren so stark ausgebaut und abhörtechnisch so gut ausgestattet war, dass hiermit die Bevölkerung des Landes flächendeckend kontrolliert werden konnte.

Wahrheit und Unterdrückung offen angesprochen

Die Securitate hat Erwin Wittstock aufgrund seiner Vergangenheit ins Visier genommen, aber vor allem auch weil er durch politisch aufmüpfige Aussagen aufgefallen war. Seine Biografie wurde durchleuchtet, Daten über ihn gesammelt, seine Tätigkeit – vorwiegend die politische und literarische – während des Nationalsozialismus analysiert. Auch wollten die Offiziere wissen, wie er sich im Freundes- und Bekanntenkreis verhalte, was er treibe, was er schreibe, welche Kontakte, besonders ins Ausland, er pflege und wie er sich in der Öffentlichkeit präsentiere.

Dabei setzte die Sicherheitsbehörde auf zuverlässige und bewährte Spitzel. Die brauchbarsten Daten und Informationen lieferte zunächst um die Mitte der 1950er Jahre ein aus Kronstadt stammender, zu der Zeit in Bukarest als Journalist und Kulturfunktionär wirkender Schriftstellerkollege, Franz Johannes Bulhardt (1914-1998), der sich vom einstigen NSDAP-Anhänger nach dem politischen Umschwung in Rumänien zu einem damals bekannten Parteibarden gemausert hatte und Lobeshymnen auf das kommunistische System anstimmte. Unter dem Pseudonym „Hart“, später als „Virgil Ionescu“ schrieb er zahlreiche Berichte, Porträts, Einschätzungen, sogenannte „note“, auch über Erwin Wittstock.

In einem seiner ersten Berichte schreibt „Hart“ Mitte 1954, Erwin Wittstock sei ein sehr bekannter deutscher Schriftsteller in Rumänien und im Ausland. Für die neue, in Rumänien zu errichtende sozialistische Gesellschaftsordnung hätten seine Bücher zwar keinen politischen Wert, doch Wittstock sei eine große schriftstellerische Begabung. „Hart“ sprach die Vermutung aus, wenn es gelänge, Wittstock für die neue sozialistisch orientierte Literatur zu gewinnen, könnte er dem kommunistischen Rumänien sehr gute Dienste erweisen. Ihn jedoch auf die Seite der Anhänger der neuen Gesellschaftsform zu ziehen, sei alles andere als einfach, wie es diesbezüglich unternommene Versuche bereits gezeigt hätten. Von den deutschen Abteilungen der neugegründeten staatlichen Verlage sei Wittstock des Öfteren aufgefordert worden, ein literarisches oder journalistisches Werk im Geiste der „neuen Zeit“ zu schreiben, doch bislang habe er nichts dergleichen geliefert. Im Literaturbetrieb trete Wittstock selbstherrlich besonders gegenüber den jungen Autoren auf, wie das aus einer Zusammenkunft deutscher Literaten hervorgehe, die beim Sitz des Rumänischen Schriftstellerverbandes in Bukarest am 18. April 1956 stattgefunden habe.

Über Wittstocks Verhalten im Rahmen dieser Veranstaltung – diskutiert wurde im Vorfeld des rumänischen Schriftstellerkongresses über „Probleme der deutschen Literatur in Rumänien“ – berichtete sowohl Bulhardt, alias „Virgil Ionescu“, als auch Heinz Stănescu (1921-1994), der bekannte Bukarester Literaturhistoriker und Universitätsdozent, der damals unter dem Decknamen „Silviu“, später unter „Traian“, eine intensive Spitzeltätigkeit in der Literaturszene entfaltete.

Anwesend bei der Veranstaltung waren laut „Virgil Ionescu“ zahlreiche rumäniendeutsche Schriftsteller, darunter ältere, bereits seit der Zwischenkriegszeit tätige Autoren (Oscar Walter Cisek, Alfred Margul-Sperber, Alfred Kittner, Erwin Wittstock, Harald Krasser, Hermine Pilder-Klein u.a.), die allgemein dem „bürgerlichen“ Lager dieser Literatur zugerechnet wurden, aber auch jüngere, die zu einer „fortschrittlichen“ marxistischen Gruppierung (Heinrich Simonis, Paul Langfelder, Franz Johannes Bulhardt u.a.) gehörten. Erwin Wittstock habe in seiner Wortmeldung u.a. gesagt, die Siebenbürger Sachsen könnten im kommunistischen Rumänien nicht auf Gerechtigkeit hoffen, sie würden sich in der Rumänischen Volksrepublik keiner Menschen- und Bürgerrechte erfreuen, seien 1945 undifferenziert enteignet und zur Lagerarbeit in die Sowjetunion deportiert worden, die enteigneten Häuser und ihre landwirtschaftlichen Besitzungen seien ihnen nicht zurückgegeben worden. Und die Schriftsteller in Rumänien würden darunter leiden, nicht die Wahrheit sagen und schreiben zu dürfen.

Dieser Vorfall ist wohl singulär in der Geschichte der rumäniendeutschen Literatur, und Erwin Wittstock der Einzige unter den deutschen Schriftstellern, der in den Jahren, als die Diktatur besonders grausam gegen ihre Gegner vorging, den Mut aufbrachte, öffentlich Wahrheiten auszusprechen und Stellung gegen ungerechte Handlungen und Bestimmungen des kommunistischen Regimes zu beziehen.

Wittstocks Unerschrockenheit basierte wohl auf seinem Bekanntheitsgrad im In- und sogar Ausland, ebenso auf seinen juristischen Kenntnissen und seiner inneren Überzeugung, für „sein sächsisches Volk“ einzustehen, und nicht zuletzt auf der Bereitschaft, im Extremfall als Märtyrer sterben zu müssen. Es war dies eine Haltung, die im kollektiven Gedächtnis der Siebenbürger Sachsen bis zu Stephan Ludwig Roths (1796-1849) Heldentod in Klausenburg zurückreichte, und der man in den 1950er Jahren auch bei Intellektuellen wie Bischof Friedrich Müller-Langenthal (1884-1969) und dem Kronstädter Stadtpfarrer Konrad Möckel (1892-1965) begegnet. Was diese Intellektuellen einte, waren die Sorgen um die Existenz und Zukunft der bedrängten siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft, als deren Repräsentant, Sachwalter und epischer Darsteller sich Wittstock zeit seines Lebens verstand.

Wegen solcher öffentlichen Äußerungen sind damals Menschen ungeachtet ihrer nationalen und sozialen Zugehörigkeit in Rumänien und wohl auch im gesamten Ostblock unmittelbar abgeführt und verhaftet worden. Dass die Securitate nicht gleich gegen ihn eingeschritten ist, hängt wohl mit der Tatsache zusammen, dass er diese Verlautbarungen in der Tauwetterperiode nach Stalins Tod getan hatte, in einer Zeit, als der Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion Nikita S. Chruschtschow in einer am 26. Februar 1956 gehaltenen Rede vor dem XX. Kongress der KPdSU die Verbrechen Stalins bekannt gemacht und verurteilt hatte. Im Herbst desselben Jahres (23. Oktober bis 4. November) brach die antikommunistische Revolution in Ungarn aus.

Verfolgung wird verschärft

Erwin Wittstock stand seit Mitte der 1950er Jahre bis zu seinem Tod im Jahre 1962 immer wieder im Mittelpunkt geheimdienstlicher Aktivitäten. An Intensität nahmen diese während und vor allem nach der Niederschlagung der revolutionären Unruhen in Ungarn zu. Seine bis dahin allgemein zur Verifizierung vergleichsweise locker geführte Akte („Dosar de verificare“) wurde am 7. Februar 1957 in eine allein auf ihn ausgerichtete persönliche Verfolgungsakte („Dosar de urmărire individuală“) umgewandelt. Der Kreis der Spitzel wurde erweitert. So brachte die Securitate zunächst Carl Göllner (1911-1995) alias „Florescu“, ihren durch zahlreiche Aktionen im Umfeld seiner Landsleute bewährten Spitzel, ins Spiel. Bereits am 1. November 1956 stellten die Offiziere einen detaillierten Plan auf, den Hermannstädter IM „Florescu“ zum „deutschen Schriftsteller Erwin Wittstock“ nach Kronstadt zu delegieren.

„Florescu“ lässt seine Auftraggeber wissen, Wittstock habe seine Bewunderung für den Freiheitskampf der Ungarn ausgedrückt und dabei den Ausspruch getan: „Wie schön es sich anfühle, ein Volk zu sehen, das bereit sei, sein Leben für die Erringung der Freiheit zu opfern. Das werde die ungarischen Kommunisten letzendlich in die Knie und zur Aufgabe zwingen.“

„Florescu“ war es auch, der, als einer der ersten, seinen Verbindungsoffizier Gheorghe Mezei am 1. März 1957 über die in der Kronstädter evangelischen Stadtpfarrkirche stattgefundene Kuratorenwahl und über deren vorläufigen Ausgang unterrichtete. Wittstock sei sehr verärgert gewesen, dass er weniger Stimmen als sein Gegenkandidat Ottmar Richter (1908-1987) erhalten habe. Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel habe sich nach Wittstocks Meinung nicht neutral verhalten, sondern offen für Richter Partei ergriffen und rufschädigende Unwahrheiten über Wittstock in Umlauf gesetzt. Der Streit zwischen Möckel und Wittstock werde eskalieren, sich vertiefen und über das Persönliche hinaus gesellschaftliche Ausmaße annehmen, hält der Offizier in einem erläuternden Kommentar am Ende des Berichtes von „Florescu“ fest.

Gruppe rumäniendeutscher Schriftsteller im Visier

Am 13. Juni 1957, ein halbes Jahr nach der Niederschlagung der ungarischen Revolution, erarbeitete die Securitate eine umfangreiche Zusammenfassung, eine sogenannte Notă sinteză von 16 getippten Seiten zu den Ergebnissen der operativen Vorgänge ­betreffend eine Gruppe rumäniendeutscher Schriftsteller, die nationalistischer Umtriebe beschuldigt wurde und der Erwin Wittstock, Oscar Walter Cisek, Alfred Margul-Sperber, Georg Scherg u.a. angehörten. Verfasst wurde sie von dem für diesen Kulturbereich zuständigen Offizier, Leutnant Tiberiu Nagy, der in den 1950er und 1960er Jahren an vielen Observierungs- und Verfolgungsprozessen gegen rumäniendeutsche Intellektuelle, oft federführend, mitgewirkt hat. Gleich zu Beginn seines Berichtes weist der Offizier auf Wittstocks zentrale Rolle im rumäniendeutschen Literaturbetrieb hin. Es habe sich herausgestellt, dass er sich als eine Art Fürsprecher der Siebenbürger Sachsen verstehe, sich immer wieder kritisch zur Politik des kommunistischen Regimes äußere und sich um seine Person eine ganze Reihe von rumäniendeutschen Intellektuellen, mit „zwielichtiger“ politischer Vergangenheit geschart habe. Zu ihnen rechnet der Offizier weitere acht Schriftsteller aus Siebenbürgen und Bukarest, die unterschiedlich nah zu Wittstock stehen würden, vom Kronstädter Georg Scherg, der sich unmittelbar unter seinem Einfluss befinde, über die Hermannstädter Bernhard Capesius, Harald Krasser und Herman Roth bis zu den in der Hauptstadt lebenden Oscar Walter Cisek und Alfred Margul-Sperber, die – außer Scherg – bereits während der Zwischenkriegszeit zu engen Mitarbeitern des in der Bundesrepublik Deutschland literarisch und politisch tätigen ehemaligen Herausgebers des Klingors Heinrich Zillich gehört hätten. Über die Übersetzerin Hermine Pilder-Klein in Bukarest pflege Wittstock, so der Verdacht, Beziehungen zu ihrem in Österreich lebenden Bruder Karl Kurt Klein.

Die gezielte Observierung habe ergeben, dass sich diese Schriftsteller dem Regime gegenüber feindlich gebärden und nationalistisch äußern würden, dass sie zu Gruppenbildungen neigen, sich gegenseitig unterstützen und fördern. Gleichzeitig würden sie den jungen rumäniendeutschen Autoren, die ihre Meinungen nicht teilten, keine Unterstützung gewähren, ganz im Gegenteil, sie ausgrenzen, behindern und verfolgen. Anders als die jungen würden die älteren Schriftsteller keine Bereitschaft erkennen lassen, Bücher zu schreiben, in denen sich das Leben der deutschen Werktätigen im kommunistischen Rumänien und deren kämpferischer Einsatz für den Aufbau des Sozialismus im Lande spiegele. Aus all dem wird der Schluss gezogen, dass die Tätigkeiten und Umtriebe der observierten Schriftsteller aus dem Kreis Kronstadt und der Hauptstadt Bukarest von ungeheurer Wichtigkeit für die Sicherheit des Landes sind.

Erwin Wittstock, der wichtigste Akteur dieser Gruppe, werde unmittelbar vom Agenten „Pavlovici“, einem befreundeten Gymnasiallehrer, dem er vertraue, beschattet und informativ abgeschöpft. Was seine Beziehungen zu Hermine Pilder-Klein und deren Bruder angehe, solle IM „Preda Ion“ aktiver eingeschaltet werden. Der Agent sei evangelischer Pfarrer und Schriftsteller, der das Vertrauen Wittstocks genieße.

Krebstherapie in Berlin

Komplizierter gestaltete sich die Lage für den Geheimdienst dadurch, dass Erwin Wittstock, der an Prostata-Krebs erkrankt war, und seine Frau Thea – nach gescheiterten Heilungsversuchen im Inland – gerade um die Zeit intensive Bemühungen unternommen hatten, „in Deutschland die Wiederherstellung seiner Gesundheit anzustreben”. Neben Kontaktaufnahme zu ehemaligen Kommilitoninnen – Dr. med. Thea Wittstock hatte von 1931 bis 1937 Medizin in Heidelberg, Kiel, Freiburg im Breisgau und Hamburg studiert, sich nach ihrer Heimkehr im Sanatorium ihres Vaters Dr. med. Wilhelm Depner auf Krebsbehandlung spezialisiert und war vor allem im Bereich der Röntgen- und Radiumtherapie tätig – hatte das Ehepaar alles daran gesetzt, in den Besitz der vielbegehrten Reisepässe zu gelangen, was im kommunistischen Rumänien alles andere als einfach war.

Der Securitate, die gerade dabei war, Erwin Wittstock intensiver zu observieren, um ihm möglichst bald das Handwerk zu legen und den Kreis um ihn, der eigentlich ein imaginierter war, zu sprengen, kam diese Nachricht recht ungelegen. Der Geheimdienst war besorgt, er könne bei dieser Gelegenheit auch West-Berlin besuchen – was bis zum Bau der Mauer 1961 für Ausländer vergleichsweise leicht möglich war – und Verbindungen zu ehemaligen Bekannten, die nun in der Bundesrepublik Deutschland lebten, aufnehmen; ja, er könnte gar die Chance nutzen, sich dort niederzulassen und nicht mehr nach Rumänien zurückzukehren, was für das kommunistische Land einen beachtlichen Imageschaden bedeutet hätte.

Nach Interventionen vor allem seitens des Rumänischen Schriftstellerverbandes und rumäniendeutscher Partei- und Kulturfunktionäre – Anton Breitenhofers (1912-1989) beispielsweise, des damaligen Chefredakteurs des Neuen Wegs, der selbst auch Schriftsteller war – durfte Erwin Wittstock in Begleitung seiner Frau Oktober 1957 nach Ost-Berlin fahren und sich in der renommierten Charité ärztlich behandeln lassen. Diesem ersten Aufenthalt, der sich für ihn – Thea Wittstock war schon Dezember 1957 heimgekehrt – bis Januar 1958 hinzog, folgte ein zweiter und letzter, von Mai bis August 1958.

Erwin Wittstock mit seinen Söhnen Joachim (links) ...
Erwin Wittstock mit seinen Söhnen Joachim (links) und Manfred (Studiofoto, 1954, Familienarchiv Wittstock)
Die Securitate hat Erwin Wittstock auch in Berlin nicht aus den Augen verloren. Von der rumänischen Vertretung in Ost-Berlin hatte sie die Information erhalten, Wittstock habe die Genehmigung beantragt, in die Bundesrepublik Deutschland fahren zu dürfen. Vor allem diese Nachricht hatte die Kronstädter Geheimdienststelle nicht nur beunruhigt, sondern geradezu alarmiert. Sie informierte am 10. Januar 1958 die Zentrale in Bukarest und bat, die notwendigen Maßnahmen zu unternehmen, um die Heimkehr des Schriftstellers zu veranlassen.

Ob Wittstock danach unverzüglich zurückbeordert worden ist oder ob er nach dem ersten Behandlungszeitraum vorübergehend nach Hause durfte, um nach einer Erholungsphase die Therapie in der Charité fortzusetzen, geht aus den Securitate-Akten nicht hervor. Tatsache ist, dass Wittstock wohl bald nach seiner Ankunft in Kronstadt eine zeitnahe zweite Besuchsreise in die DDR beantragte, um den Heilungsprozess seiner Krankheit nicht zu unterbrechen. Trotz der Einwände der Securitate (die Kronstädter Geheimdienstfiliale schickte am 7. April 1958 einen vierseitigen Bericht nach Bukarest) erhielt Wittstock den Reisepass, was wiederum hauptsächlich das Verdienst hoher rumäniendeutscher Partei- und Staatsfunktionäre war. Außer Anton Breitenhofer setzte sich wohl auch Filip Geltz (1901-1994) für ihn ein – ein bewährter banat-schwäbischer Kommunist aus der Zeit vor und während des Zweiten Weltkrieges, der Mitte der 1950er Jahre hohe Partei- und Regierungsämter in Bukarest bekleidete.

Obgleich durch die Krankheit eingeschränkt, hat Wittstock die beiden Aufenthalte in Berlin richtig genossen. Wie er sich später gegenüber Bekannten äußerte, durchstreifte er in den freien Stunden nach der ärztlichen Behandlung Berlin, um Stätten aufzusuchen, die ihm besonders ans Herz gewachsen waren, nachdem er 1939 vorübergehend seinen Wohnsitz von Hermannstadt nach Berlin verlegt hatte, bevor er Frühjahr 1941 nach Hammer am See umgezogen war.

Observiert wegen absurden Verdachts

Doch auch in Kronstadt blieb die Securitate in der Zeit seiner Abwesenheit nicht untätig. Bereits am 22. Oktober 1957 bat der Leiter der Regionaldirektion, Oberst Gheorghe Crăciun (1913-2001) in einem Schreiben an Innenminister Generaloberst Alexandru Drăghici (1913-1993) um die Erlaubnis, in der Wohnung des abwesenden Schriftstellers versteckte Mikrofone anzubringen, um Gespräche zu überwachen. Dadurch erhoffe man sich, Genaueres über Wittstocks während seines Aufenthaltes in der DDR geknüpften Kontakte zu erfahren. Auf diese Weise verspreche man sich auch – so der absurde Verdacht –, Informationen über geheime Aufträge zu erhalten, die ihm die siebenbürgisch-sächsischen Emigration aus der Bundesrepublik Deutschland erteilt habe, sowie Einblicke in seine in Rumänien geplanten geheimdienstlichen Aktivitäten.

Über ihre IM „Gaspara Stampa“ hatte die Securitate erfahren, dass das Ehepaar Wittstock für die Zeit seiner Abwesenheit Hermine Pilder-Klein angeboten hatte, in ihrem Hause zu wohnen. Ein zusätzlicher Grund für den Geheimdienst, den Einbau der Abhöranlage zu beschleunigen, um die Gespräche von Hermine Pilder-Klein abzuhören. Rund einen Monat danach, am 16. November 1957, lag bereits ein detaillierter Plan vor, die Abhörgeräte in Wittstocks Wohnung einzubauen.

Politische Prozesse

In den Monaten nach Wittstocks endgültiger Rückkehr aus der DDR wurden die Repressalien – wie im ganzen Land – auch gegen Vertreter der deutschen Minderheit ausgeweitet. Nachdem seit Dezember 1957 und in der ersten Hälfte des folgenden Jahres rund zwanzig Personen, hauptsächlich aus dem Umfeld des Kronstädter Stadtpfarres Dr. Konrad Möckel, verhaftet worden waren, die danach im Schwarze-Kirche-Prozess im Dezember 1958 zu meist hohen und sehr hohen Strafen, ursprünglich auch zum Tode, verurteilt werden sollten, wurde etwa seit Mitte des Jahres 1958 und im anschließenden Jahr auch eine ganze Reihe siebenbürgisch-deutscher Schriftsteller gefangengesetzt. Hermine Pilder-Klein kam bereits Juni 1958 in Gewahrsam, Andreas Birkner am 23. Juli, Georg Scherg und Harald Siegmund am 30. September desselben Jahres. Hans Bergel, der Ende 1958 von der Redaktion der in Kronstadt erscheinenden Volkszeitung entlassen worden war, wurde am 20. April, Wolf Aichelburg am 19. Mai 1959 inhaftiert, Harald Krasser ein paar Monate später, am 9. Oktober 1959. Birkner, Scherg, Siegmund, Bergel und Aichelburg sollten dann am 15. September 1959 gemeinsam in Kronstadt vor Gericht gestellt und zu fast hundert Jahren Freiheitsentzug verurteilt werden.

Furchtbare Lebensjahre

Die letzten Lebensjahre Erwin Wittstocks – sie fallen etwa mit der Zeit der politischen Prozesse gegen rumäniendeutsche Schriftsteller zusammen – müssen furchtbar gewesen sein. Die unheilbare Krankheit, die ohne Aussicht auf Heilung gravierend fortschritt, die Unmöglichkeit, mildernde Therapienangebote im Ausland wahrzunehmen, weil die Behörden ihm weitere Besuchsreisen zur medizinischen Behandlung in die mit Rumänien verbrüderte DDR verweigerten, waren einer der Gründe. Doch nicht desto weniger dürfte auch das Leben in einer überwachten Welt, in der die omnipräsente Geheimpolizei, die ihn schikanierte und zur Mitarbeit drängte, das Sagen hatte, sich negativ auf sein Wohlbefinden ausgewirkt haben. Und nicht zuletzt mag es die ständige Angst gewesen sein, wie seine Schriftstellerfreunde jeden Augenblick verhaftet werden zu können. All das hat wohl mit dazu beigetragen, sein Leben vorzeitig zu zerstören und zu beenden.

Als zermürbend dürfte es Erwin Wittstock empfunden haben, dass er im Vorfeld und während des Kronstädter Schriftstellerprozesses nicht wenigstens befragt und vorgeladen wurde. Das war aber von der Securitate bewusst so geplant und gehandhabt worden, wie aus einem vorbereitenden Dokument zum Gerichtsverfahren hervorgeht. Sie wollte ihm – wie auch anderen – zunächst den Prozess mit seinen drastischen Urteilen vorführen und ihm, in der Hoffnung, ein leichteres Spiel bei der Anwerbung zu haben, erst danach die Zusammenarbeit anbieten. So ähnlich war die Securitate nämlich bereits im Falle Harald Krassers vorgegangen, dem engsten Schriftstellerfreund Wittstocks. Auch ihn hatte die Geheimpolizei zur künftigen Mitarbeit auserkoren und ihn deshalb nicht der Kronstädter Schriftstellergruppe zugeschlagen. Erst als ihr Anwerbungsversuch gescheitert war, wurde Krasser etwa einen Monat nach dem Kronstädter Prozess am 9. Oktober 1959 inhaftiert.
Erwin Wittstock (Mitte) mit seinem Bruder Oskar ...
Erwin Wittstock (Mitte) mit seinem Bruder Oskar (links), bis zur Evakuierung der Familie im Jahr 1952 Fachlehrer für Deutsch und Latein am Honterusgymnasium in Kronstadt, und dessen Sohn Paul, Arzt in Emmendingen (Baden-Württemberg), bei einem Spaziergang auf der Hill bei Wolkendorf/Burzenland, im November 1960 (Foto: Familienarchiv Wittstock)
Erwin Wittstock muss spätestens nach Krassers Verhaftung fest damit gerechnet haben, nun ebenfalls belangt zu werden. Er entschloss sich, ein Schreiben an den Rumänischen Schriftstellerverband zu verfassen, um potenziellen Beschuldigungen zuvorzukommen. Diesem Schreiben muss er eine besondere Bedeutung beigemessen haben, ansonsten hätte er wohl nicht an die Hilfe und Geduld von „Gaspara Stampa“ appelliert, die ihm stundenlang beim Übersetzen und Formulieren zur Hand ging. Laut der Notă informativă der Agentin, sei Wittstock zunächst auf seinen prekären Gesundheitszustand eingegangen, der sich zusehends verschlechtere. Der Prostatakrebs habe sich ausgebreitet, Metastasen auch an den Nieren gebildet. Müdigkeit und Unfähigkeit, länger zu arbeiten, seien die Folge. Denen gesellten sich äußere Umstände, die ihn keineswegs zur schriftstellerischen Arbeit animieren würden, so die Änderungen und der Führungswechsel bei den Verlagen, die seine Manuskripte zurückhalten würden; ebenso die Attacken seitens junger siebenbürgisch-sächsischer Autoren, die ihn durch üble Nachrede in Verruf brächten, seinen Namen beschmutzten, ihn einen Vertreter des national denkenden Bürgertums nennen, ja gar als Chauvinisten bezeichnen würden.

Demgegenüber und zu seiner Verteidigung habe Wittstock, berichtet „Gaspara Stampa“, auf seine für einen Schriftsteller wichtige reiche Lebenserfahrung hingewiesen, die ein junger Autor nicht haben könne. Er habe zwei Weltkriege erlebt, darunter den zweiten an der Seite einer gelähmten Frau und zwei kleiner Kinder in von Bomben zerstörten Städten. Wohl, um in Zukunft gegen weitere Anwürfe gefeit zu sein, habe Wittstock, betont die Agentin, am Ende seines Briefes die Bitte an den Schriftstellerverband gerichtet, man möge doch seine Situation als kranker und alter Mann erwägen, der nicht mehr in der Lage sei, neue Werke in Angriff zu nehmen, sondern bloß die bereits begonnenen zu Ende zu führen. Damit wollte er freilich dem Vorwurf begegnen, er schreibe bloß über Vergangenes und meide es, sich dem sozialistischen Alltag zuzuwenden und ihn zu verherrlichen. Auch um möglichen weiteren Tadel vorzubeugen, bittet er, man möge doch seine literarischen Werke, sowohl die vor 1944 entstandenen als auch die danach geschriebenen, im Hinblick auf seine humanistische Einstellung untersuchen. Unschwer werde man hierbei feststellen können, dass man der in seinen literarischen Schriften anzutreffenden Vielfalt an Gestalten und Typen, die sämtliche Nationalitäten Rumäniens repräsentierten, bei keinem rumänischen oder ungarischen Schriftsteller begegnen würde. Ebenso gebe es bei keinem anderen Schriftsteller dieses Landstriches eine solch liebevolle Zuwendung und Sympathie für die gezeichneten Personen aus diesen unterschiedlichen nationalen Milieus. Wohl weil er ahnte, wofür er sonst noch gerügt werden könnte, habe Wittstock, schreibt „Gaspara Stampa”, am Ende seines Briefes auch erwähnt, dass er während seines Aufenthaltes zur Therapie in Deutschland keinen Kontakt zu Heinrich Zillich und seinem Anhängerkreis gehabt habe.

Bevor die Securitate Erwin Wittstock zu einem Gespräch im Hinblick auf seine Verpflichtung zur informellen Mitarbeit einbestelle, erkundigte sie sich bei ihren Agenten, wie er all die Verhaftungen und Prozesse aus seinem Umfeld seelisch verkraftet habe. Die psychologisch geschulten Offiziere nutzten diese Informationen, um ihre künftigen Mitarbeiter mit unerwarteten Fragen zu überraschen und unter Druck zu setzen.

Sehr von Nutzen dürften den Offizieren die Schilderungen ihres neuen Informanten „Marcel Mărgineanu“ gewesen sein, der im Schwarze-Kirche-Prozess wegen Nicht-Anzeige angeblicher Verstöße gegen die soziale Ordnung in Rumänien zu einer der niedrigeren Straftaten verurteilt worden war und bereits nach etwa anderthalb Jahren freikam, wohl auch weil er sich bereit erklärt hatte, zukünftig mit dem kommunistischen Geheimdienst zu kollaborieren. Wittstock kannte und schätze den an literarischen Fragen interessierten Jugendlichen, hatte sich über die Nachricht seiner Freilassung gefreut, ging aber bei einem ersten zufälligen Treffen in einer Apotheke aus Angst vor Konsequenzen auf Distanz zu ihm, weil Kontakte zu ehemaligen politisch Verurteilten von den Behörden, die diese gesellschaftlich zu marginalisieren, zu isolieren und zu ächten suchten, nicht gern gesehen wurden. In dem Bericht vom 15. Januar 1960 an seinen Verbindungsoffizier Hauptmann Adalbert Farkas schildert „Marcel Mărgineanu“ detailliert, wie die erste Begegnung mit Erwin Wittstock verlaufen war.

Perfide Pläne der Securitate

Eine Woche nach „Mărgineanus“ Bericht, am 23. Januar 1960, verfasste die Kronstädter Regionalbehörde der Securitate unter dem Vorsitz ihres damaligen Leiters Oberst Pavel Aranici (1922-1995) ein längeres Schreiben von rund zehn getippten Seiten, das sie an den Chef des Departments III der Bukarester Geheimdienstzentrale, Oberst Nicolae Budişteanu (1922-1981), schickte. In der als Referat betitelten längeren Mitteilung ging es um nicht mehr und nicht weniger als um den detaillierten Plan, Erwin Wittstock als Agenten des rumänischen kommunistischen Sicherheitsdienstes im Problemfeld „Deutsche Nationalisten“ zu rekrutieren. Begründet wurde die Maßnahme prioritär mit der Notwendigkeit, einen Informanten sowohl in die Vertriebenenverbände in der Bundesrepublik Deutschland und in Österreich einzuschleusen und ihn speziell auf Heinrich Zillich bzw. Karl Kurt Klein anzusetzen, die den größten schädigenden Einfluss auf die rumäniendeutsche Minderheit ausüben würden, als auch in die Kreise der oppositionell eingestellten deutschsprachigen Schriftsteller und Intellektuellen aus Rumänien, zu denen Wittstock ebenfalls enge Beziehungen pflege.

Würde sich der Schriftsteller trotz allem dennoch renitent verhalten, werde man ihm während des Verhörs anhand der in seiner Akte archivierten Unterlagen seine umstrittene Vergangenheit, die Sympathie für das „Dritte Reich“, seine Bucherfolge während der Zeit des Nationalsozialismus vorführen. Ebenso seine abständige Position gegenüber dem sozialistischen System, sein nicht legitimes, nachhaltiges Eintreten für die Rechte und Belange seiner siebenbürgisch-sächsischen Landsleute und besonders für die evangelische Kirche, für deren führende Rolle im geistigen und gemeinschaflichen Leben der Siebenbürger Sachsen er nach wie vor plädiere. Und nicht zuletzt solle ihm seine Weigerung, literarische Werke im Sinne der sozialistischen Ideologie zu verfassen, vorgehalten und am Ende sogar die Drohung ausgesprochen werden, dass er aufgrund all dieser Tatsachen öffentlich demaskiert werde.

Wie sowohl aus dem Referat vom 23. Januar 1960 als auch aus späteren Unterlagen hervorgeht, hatte die Kronstädter Securitate zu diesem Zweck einen perfiden Plan ausgeheckt. Zunächst sollte der Schriftsteller unter einem Vorwand an den Ort der Rekrutierung, den Sitz der Kronstädter Securitate, bestellt werden. So ließ der Geheimdienst Wittstock wissen, sie möchte Aufschluss von ihm über die von Heinrich Zillich 1949 in Salzburg herausgegebene Anthologie Wir Siebenbürger erhalten, in der auch Wittstock vertreten sei.

Nach kurzen einleitenden Worten kamen die Offiziere zum eigentlichen Anliegen ihres Gesprächs. Sie hätten ihn einbestellt, um von ihm Aufschluss zu erhalten über zwei Schreiben, die ihnen vorlägen. Zum einen handle es sich um einen anonym verfassten Brief eines aufgebrachten, wohl siebenbürgisch-sächsischen Bürgers, der sich an das Rektorat der Klausenburger Victor-Babeş-Universität mit der Frage gewandt habe, wieso die Söhne eines „feindlich gesinnten“ Schriftstellers, der mit „faschistischem“ Gedankengut liebäugelt hätte, von den vorzüglichen Lernbedingungen, die vom kommunistischem Regime für die Studierenden im Lande geschaffen worden wären, profitieren dürften, während es für die „Söhne anständiger Menschen“ nicht genügend Studienplätze an den rumänischen Hochschulen gebe. Der anonyme Schreiber, der in seinem Brief eine ganze Reihe Texte und Zitate aus der Presse der Zeit aufgelistet hatte, die Wittstocks Sympathie für den Nationalsozialismus belegen sollten, forderte am Ende seines Briefes, man solle seine beiden Söhne von der Universität verweisen. Zudem legten die Offiziere ein zweites Schreiben vor, aufgesetzt vom Rektorat der Klausenburger Universität und an die regionale Behörde der Kronstädter Securitate adressiert, in dem die Bitte ausgesprochen wurde, der Geheimdienst möge bei der Aufklärung des Falles mitwirken, weshalb man den Schriftsteller zum Gespräch eingeladen habe.

Keines der beiden Schriftstücke war jedoch von den universitären Gremien verfasst und verschickt, sondern für diese Begegnung mit dem Schriftsteller von den Mitarbeitern der Securitate erdichtet worden. Man sei zuversichtlich, betonten die Kronstädter Offiziere in ihrem Referat an die Bukarester Zentrale, dass man auf diese Weise den Schriftsteller, dem die berufliche Zukunft seiner Kinder sehr am Herzen liege, beeinflussen könne, mit dem Geheimdienst zusammenzuarbeiten.

Anheuerungsversuch scheitert, operativer Vorgang beendet

Wie der Anheuerungsversuch im Einzelnen verlaufen ist, darüber gibt es in der Akte von Erwin Wittstock kein Protokoll. Das hängt wohl mit dem Scheitern dieser aufwendig inszenierten Aktion zusammen, denn die Offiziere waren keineswegs daran interessiert, ihren Misserfolg zu dokumentieren. Wie die Diskussionen vonstatten gegangen sind, erfahren wir aus einem längeren Bericht der Kronstädter Behörde im August 1962 an die Bukarester Zentrale in Zusammenhang mit Erwin Wittstocks immer wieder geäußerten Wunsch, zu einer weiteren – es wäre die dritte dieser Art gewesen – medizinischen Behandlung nach Ost-Berlin zu fahren. In der Begründung, warum die Securitate die Genehmigung zu dieser Reise verweigerte, wird u.a. auch auf den fehlgeschlagenen Versuch, Erwin Wittstock für die geheimdienstliche Zusammenarbeit zu gewinnen, eingegangen. Man habe mit dem Schriftsteller an sechs Tagen, abhängig von seinem Gesundheitszustand, täglich etwa vier bis fünf Stunden diskutiert. Es sei – so empfanden es zumindest die Offiziere – ein offenes Gespräch gewesen, und der Schriftsteller habe mit seinen Meinungen nicht hinterm Berg gehalten. Am Ende der Begegnungen sei man zum Schluss gekommen, dass der Schriftsteller sich nicht losgelöst habe von seinen alten Ansichten, die sie als nationalistisch bezeichnen. Sie seien unvereinbar mit dem in Rumänien seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges stattgefundenen politischen und gesellschaftlichen Wandel.

Am letzten Tag der Gespräche sei es den Offizieren dennoch gelungen, heißt es in der Mitteilung an den Stellvertretenden Innenminister, Wittstock in die Enge zu treiben und ihm die Information zu entlocken, dass er in all diesen Jahren dennoch die Hände nicht in den Schoß gelegt habe, sondern weiterhin schriftstellerisch tätig gewesen sei. Er habe zugegeben, in all den Jahren drei Romane verfasst zu haben, von deren literarischem Wert er überzeugt sei, auf deren Veröffentlichung im Staatsverlag er zurzeit jedoch nicht hoffen könne.

Aus dem Bericht geht nicht hervor, wie der Schriftsteller dazu gebracht wurde, den Offizieren die Manuskripte dieser Romane zu überlassen, es wird bloß berichtet, er sei „gebeten worden“, aber wahrscheinlich war es die übliche Mischung aus Höflichkeit, Schmeichelei und Drohung, derer sich die geheimdienstlichen Mitarbeiter bei solchen Gelegenheiten bedienten. Es habe sich um die Romane „Die höhere Pflicht“, „Geist und Erde“ und „Das Sinnbild“ gehandelt, an denen der Autor in der Zeitspanne 1945-1960 gearbeitet habe, die eigentlich als Zyklus konzipiert worden und fragmentarisch geblieben sind.

Nach der Lektüre dieser Romane, in denen der Autor sowohl von seinen national-konservativen Überzeugungen als auch von seinen herkömmlichen ästhetischen und politischen Ansichten nicht abgerückt ist, kommen die Offiziere zum Schluss, dass es aussichtslos ist, weiterhin auf eine Wandlung Erwin Wittstocks zu einem sozialistischen Autor zu hoffen. Vor allem der Roman „Die höhere Pflicht“ strotze von antikommunistischen und antisowjetischen Passagen und beweise ein weiteres Mal, dass der Autor nicht willens sei, sich von seinen Auffassungen zu distanzieren. Es sei auch hoffnungslos, sich mit seinem Fall weiter zu befassen, denn jeder Versuch, ihn davon abzubringen, werde misslingen.

Deshalb wird vorgeschlagen, ihm nicht nur den Reisepass erneut zu verweigern, sondern auch den operativen Vorgang im Laufe des Monats September 1962 abzuschließen. Hierbei sollten Vorschläge erarbeitet und den zuständigen Gremien unterbreitet werden, um ihn in der Presse und in einer öffentlichen Sitzung des Schriftstellerverbandes zu demaskieren, was wahrscheinlich, wie in anderen Fällen auch, eine Verhaftung und eine Verurteilung zu einer längeren Gefängnisstrafe nach sich gezogen hätte.

Dazu ist es jedoch nicht mehr gekommen. Vermutlich war Wittstock in den letzten Monaten seines Lebens nicht mehr vernehmungsfähig. Bald darauf, am 27. Dezember 1962, erlag er seinem fortgeschrittenen Krebsleiden.

Danach wurde die Akte von Erwin Wittstock zwar geschlossen und archiviert, doch bald sollte die Observierung seines Sohnes, des Schriftstellers Joachim Wittstock, beginnen – und damit eine neue Geschichte anfangen, die hier jedoch nicht erzählt werden soll.

Dr. Stefan Sienerth

Bücher von Erwin Wittstock kann man auf Anfrage bei der Siebenbürgischen Bibliothek in Gundelsheim/Neckar, E-Mail: bibliothek [ät] siebenbuergen-institut.de, Telefon: (0 62 69) 42 15-0, erwerben.

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