28. Februar 2024
Tätige Nächstenliebe war ihm wichtig: Trauerrede auf Karl Dendorfer (91), Zeitzeuge der kommunistischen Unterdrückung
Wieder verließ uns ein lieber Freund und Weggenosse, den wir zu verabschieden hatten. Karl Dendorfer, geboren am 29. April 1932 in Kronstadt, einer der zu Tode verurteilten Angeklagten des Schwarze-Kirche-Prozesses 1958 in Kronstadt, ist am 4. Februar 2024 nach schwerer Krankheit in Stuttgart gestorben. Zur Trauerfeier mit Urnenbeisetzung am 19. Februar auf dem Friedhof in Stuttgart-Möhringen kamen viele Verwandte, Bekannte und Freunde, um ihn auf seinem letzten Weg zu begleiten. Neben der Witwe Irmgard und deren Nichten waren auch Michael Konnerth, Vorsitzender der Landesgruppe Baden-Württemberg, und sein Vorgänger Alfred Mrass zugegen, ebenso Berufskollegen und Stammtischfreunde, mit denen sich Karl Dendorfer jahrelang jeden Monat im Stuttgarter Ratskeller getroffen hatte. Helmut Wolff, als jahrzehntelanger Freund, übernahm die Aussegnung und Verabschiedung. Seine bewegende, umfangreiche Trauerrede wird im Folgenden gekürzt wiedergegeben. (Ortwin Götz)
![Fast erblindet, aber ungebrochen: Karl Dendorfer, ...](/bild/artikel/normal/2024/karl_dendorfer_2021_kk.jpg)
Liebe Irmi, liebe Trauergemeinde! Nach schweren Monaten ist Karl Dendorfer, für seine Freunde Charly, am 4. Februar im Alter von 91 Jahren verstorben. Er ist erlöst von allen irdischen Nöten, doch es ist ein schmerzvoller Abschied für uns alle, besonders für dich, liebe Irmi. Wir alle haben unzählige Erinnerungen an Charly – sie sind ein kostbarer Schatz, den wir in Ehren halten mögen. So wollen wir jetzt in Dankbarkeit auf das Leben unseres lieben Verstorbenen zurückblicken und die wichtigsten Wegstationen seines Lebens anführen, uns in Erinnerung rufen.
Geboren ist er in Kronstadt am 29. April 1932 als Sohn des Karl Dendorfer und der Luise geb. Busser. In Kronstadt aufgewachsen, ging er ab 1939 in die Volksschule neben dem Sportplatz. Es war „eine schöne, sorglose Kindheitszeit“, wie er schreibt, die jedoch nicht lange dauerte, da der 2. Weltkrieg im gleichen Jahr begann. 1943 wechselte Charly dann auf das Gymnasium in Kronstadt, die Ferienzeit verbrachte er wegen den amerikanischen Luftangriffen in Birthälm, woher seine Mutter stammt und wo seine Eltern ein Haus besaßen.
Da erlebte er auch den 23. August 1944, wie er schreibt, „den folgenschwersten Tag in der 800-jährigen Geschichte unseres sächsischen Völkchens. Die Folgen haben wir alle miterlebt, zusätzlich erschwerend für mich persönlich dann noch der in dieser Zeit (1948) erfolgte Tod meines Vaters. Eine schwere Zeit besonders für die Erwachsenen: Deportation, Enteignung, Zwangsaufenthalt, Verhaftungen. Die Mutter sorgte als Näherin für den Familienunterhalt.“
![Da war er noch das blühende Leben: Karl „Charly“ ...](/bild/artikel/normal/2024/karl_dendorfer_dinkelsbuehl_2010.jpg)
Von meinem Arbeitsplatz wurde ich am 26. Dezember 1957 verhaftet. Nach einem Jahr Untersuchungshaft im Securitate-Gebäude (Villa Popovici) dann der sog. ‚Schwarze-Kirche-Prozess‘. Wegen ‚Hochverrat‘ vom Militärgericht in Stalinstadt, wie damals Kronstadt hieß, wurde ich zum Tode verurteilt. Die fadenscheinige, ja abstruse Begründung lautete: ‚Man wollte mit der deutschen Minderheit aus Rumänien eine Insel der westlichen Kultur bilden, um den internationalen Kommunismus zu bekämpfen‘! Später wurde dieses Urteil in „lebenslänglich schweren Kerker“ umgewandelt. Es folgten die langen entsetzlichen, qualvollen Jahre in den berüchtigten politischen Gefängnissen Jilava, Piteşti, Dej, Gherla... Nach sechs Jahren Haft unter unmenschlichen Bedingungen wurde ich ohne Vorwarnung entlassen. Das spontane Aufjubeln über meine plötzlich erlangte Freiheit war nur von kurzer Dauer, wurde von einem Alptraum abgelöst: Meine Mutter war inzwischen gestorben, in unserer totalen Isolation hatte ich darüber keine Nachricht erhalten. Unsere Wohnung aufgelöst und vergeben, somit kein Zuhause... Kein Geld, keine näheren Verwandten, fast blind und TBC-krank, mit dem Stigma eines ehemaligen politischen Häftlings stand ich buchstäblich vor dem Nichts. Glück im Unglück: Unterbringung im Mărsescu-Spital, vertraulich beim Arzt Dr. Oprişescu behandelt, wo ich auch nach der Ausheilung weiter in seinem Krankenhaus bleiben konnte, bis sich meine Situation geklärt hat.
Die folgenden fast zwei Jahre waren für mich, alles in allem doch auch eine interessante Zeit, mit Höhen und Tiefen, mit negativen und positiven Erfahrungen, mit der Hilfsbereitschaft vieler. In Kürze kamen dann regelmäßig die vorverzollten Rote-Kreuz-Pakete, so dass ich mindestens finanziell unabhängig war. Längere Zeit verbrachte ich dann bei meinem Freund Dr. Paul Hamsea und in Klausenburg.
![Mit kritischem Blick verfolgt Karl Dendorfer (l.) ...](/bild/artikel/normal/2024/dendorfer_moeckel.jpg)
Erst relativ spät heiratete ich 1978 Irmgard geb. Ehmer, gebürtig aus Danzig, nachdem wir uns schon zehn Jahre kannten. Auch hier war mir das Schicksal wohlgesinnt. Da sie genauso gerne reiste wie ich, hatten wir Gelegenheit, viel von dieser Welt zu sehen. Unsere kinderlose Ehe kompensierten wir mit einem großen Bekannten- und Freundeskreis. Freude hatten wir beim alpinen Skifahren und bei größeren Radtouren. Freude bereitete mir auch das Sammeln von Transylvanika, die zu einer beachtlichen Bibliothek anwuchs. Mit den Worten Adolf Meschendörfers schließe ich: ‚Ehern wie die Gestirne / zogen die Jahre herauf./ Ach schon ist es September / Langsam neigt sich ihr Lauf‘.“
Ihr Lieben, auch für Charly neigte sich der Lauf, nach einem langen, erlebnisreichen Leben mit qualvollen Gefängnisjahren nach dem Prozess, mit dem die kommunistische Führung versuchte, die deutsche Bevölkerung einzuschüchtern, aber später dann auch mit schönen, glücklichen Jahren hier in der BRD. Gefängnisaufenthalt, Leidenszeiten, Krankheiten hat er alles überstanden und sich nie aufgegeben, immer zurückgekämpft und seine positive Einstellung zum Leben beibehalten.
![Karl Dendorfer mit seiner Frau Irmi, aufgenommen ...](/bild/artikel/normal/2024/karl_irmi_dendorfer.jpg)
Durch eine Stiftung, deren Vorsitzender Charly kannte, habt ihr, liebe Irmi, vielen Hilfsbedürftigen aus Rumänien geholfen, indem ihr sie vor und nach Krankenhausaufenthalten aufgenommen und betreut habt. Charly half auch einige Jahre, jeweils für ein bis drei Monate beim Aufbau des Kirchenarchivs in Hermannstadt – eine Arbeit, die ihm viel Freude bereitete.
Sein Leben war geprägt vom Gemeinschaftssinn der Siebenbürger Sachsen, er war heimatverbunden, reiste gerne nach Kronstadt, nach Siebenbürgen und bedauerte den Niedergang der Deutschen in Siebenbürgen und im Banat durch die Massenauswanderung. In Stuttgart besuchte er den Kronstädter Stammtisch und erwähnenswert ist auch sein Engagement im Vorstand der HOG Kronstadt und in der Landsmannschaft. Er war sehr interessiert an seinem Umfeld, aus seinem großen Erinnerungsschatz erzählte er gerne über vergangene Zeiten. Ich bewunderte sein umfangreiches Wissen über unzählige Familien aus Kronstadt und Siebenbürgen. So bleibt er auch bei mir in dankbarer, guter, ehrenvoller Erinnerung.
Was bleibt von einem lieben Menschen, der uns verlässt? Es bleiben die „Spuren seines Lebens“, unzählige Erinnerungen an Gespräche, Begebenheiten, Erlebnisse aus der gemeinsam verbrachten Zeit. Es bleibt all das Gute, die Liebe, der Segen, den Charly bewirkt hat. Gott lasse ihm das ewige Licht leuchten, er ruhe in Frieden! Amen!
Pfarrer i.R. Helmut Wolff
Lesen Sie auch:Wie der Kommunismus das Leben zur Hölle machte: Karl Dendorfer zum Neunzigsten, SbZ Online vom 29. April 2022
Schlagwörter: Nachruf, Schwarze-Kirche-Prozess, Kronstadt, Kommunismus
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