18. Juli 2024

Generative Künstliche Intelligenz und siebenbürgisch-sächsisches Kulturerbe: Chancen und Gefahren für die Aneignung, Bewahrung und Weiterentwicklung

Generative Künstliche Intelligenz (KI) eröffnet vielfältige Chancen für die Aneignung, Bewahrung und Weiterentwicklung des kulturellen Erbes, birgt aber auch neue Gefahren. Im Folgenden soll erörtert werden, wie die Siebenbürger Sachsen ihre kulturelle Eigenständigkeit bewahren können und welche Aufgaben und Herausforderungen sich für ihre Organisationen und alle, die sich für das siebenbürgisch-sächsische Kulturerbe engagieren, im Zeitalter der generativen KI ergeben.
Johann Lauer bei einem Vortrag im Heiligenhof in ...
Johann Lauer bei einem Vortrag im Heiligenhof in Bad Kissingen, 9. Dezember 2023. Foto: Anja Babet-Täuber

Ausgangspunkte, Fragestellung und Vorgehensweise

Die Aneignung, Bewahrung und Weiterentwicklung einer Gemeinschaft und ihrer Identität erfolgt vor allem durch die Auseinandersetzung mit dem eigenen kulturellen Erbe. Die Lebendigkeit und Zukunftsfähigkeit des kulturellen Erbes werden durch die Auseinandersetzung und Weiterentwicklung mit diesem Erbe gesichert. Von entscheidender Bedeutung sind zudem die Institutionen und Organisationen, die sich dem Erbe verpflichtet fühlen.

Das kulturelle Erbe manifestiert sich in zwei Formen, nämlich dem materiellen und dem immateriellen Erbe. Das materielle Erbe umfasst physische Objekte wie Artefakte in Museen und Gebäude. Das immaterielle Erbe, auch als „geistiges Gepäck“ bezeichnet, manifestiert sich zuerst in den Menschen selbst. Die Weitergabe erfolgt insbesondere durch mündliche Überlieferungen sowie schriftliche Aufzeichnungen. Die ersten schriftlichen Fixierungen erfolgten zunächst in analoger Form: Papyrus, Pergament und Papier (ab dem 12. Jahrhundert) waren Hauptmaterialien, ergänzend wurden Stein, Holz, Elfenbein und Wachs verwendet. Seit der Gutenberg-Revolution im 15. Jahrhundert erfolgt die Schriftüberlieferung jedoch vornehmlich auf Papier in Büchern, Zeitschriften und Zeitungen.

Im 20. Jahrhundert kamen digitale Medien hinzu. Die Digitalisierung begann mit der Erstellung der ersten Wissensdatenbanken ab den 1950er Jahren und erfuhr mit dem Internet (WWW) seit den 1990er Jahren eine exponentielle Zunahme. Mit der generativen KI wird sich diese Entwicklung noch einmal potenzieren. Im Vergleich zu den bisher diskutierten Speichermedien stellt die generative KI eine qualitative Neuerung dar. Während die vorher genannten Speichermedien lediglich eine passive Speicherung von Inhalten ermöglichen, ist die generative KI darüber hinaus in der Lage, Inhalte eigenmächtig zu verändern. Die Weiterentwicklung des kulturellen Erbes erfolgte bislang nur durch den Menschen. Mit der generativen KI ist nun die Möglichkeit gegeben, dass große Sprachmodelle mit Hilfe von Algorithmen maschinelle Veränderungen eigenmächtig vornehmen. Daher ist es für alle, die ein Interesse an der Sicherung und Weiterentwicklung des kulturellen Erbes haben, erforderlich, sich auf diese Entwicklung vorzubereiten und die notwendigen Schritte einzuleiten.

Die Menge der digitalen Informationen hat sich weit mehr als die der analogen Publikationen zu einer Informationsflut entwickelt. Digitale Kommunikation und digitale Publikationen sind daher ebenso wichtig geworden wie persönliche Kommunikation und analoge Publikationen. Kulturelle Debatten werden daher zunehmend auch über digitale Medien geführt. Die digitale Sichtbarkeit des kulturellen Erbes ist daher von entscheidender Bedeutung.

Für die Siebenbürger Sachsen kommt noch ein weiterer Ausgangspunkt oder eine Besonderheit hinzu: Das siebenbürgisch-sächsische Kulturerbe ist seit dem Ende des 20. Jahrhundert fast das einzig verbliebene lose Band der Sympathie, das die siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft weltweit zusammenhält und die siebenbürgisch-sächsische Identität prägt.
  • Welche Chancen und Gefahren bringt die generative KI für die Aneignung, Bewahrung und Weiterentwicklung eines Kulturerbes?
  • Welche Besonderheiten prägen die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen? Welche Ressourcen und Voraussetzungen sind innerhalb dieser Gemeinschaft für digitale Kommunikation und digitale Publikation vorhanden? Welche Defizite sind zu verzeichnen?
  • Welche Aufgaben und Herausforderungen müssen die Siebenbürger Sachsen und deren Vereine in Angriff nehmen, damit das siebenbürgisch-sächsische Erbe auch in Zeiten generativer KI angeeignet, bewahrt, wahrgenommen und weiterentwickelt wird?
Im Folgenden werden zunächst die Chancen und Risiken der generativen KI für die Aneignung, Bewahrung und Weiterentwicklung eines Kulturerbes erörtert. Im Anschluss erfolgt eine Erörterung derjenigen Besonderheiten, denen das Kulturerbe der Siebenbürger Sachsen derzeit unterliegt. Es wird also beleuchtet, inwiefern ein gemeinsamer Kommunikationsraum im Internet einen abhanden gekommenen gemeinsamen Lebensraum in Siebenbürgen ersetzen kann.

Die Digitalisierung stellt eine herausragende Maßnahme zur zukünftigen Sicherung und Weiterentwicklung des kulturellen Erbes dar, da sie sowohl eine digitale Kommunikation als auch eine digitale Publikation ermöglicht. In Bezug auf die siebenbürgisch-sächsische Perspektive können zwei Feststellungen getroffen werden, wobei die eine positiv und die andere negativ ist. Zunächst ist festzuhalten, dass in der Vergangenheit sehr gute Ressourcen und Voraussetzungen geschaffen wurden, um die neuen Aufgaben und Herausforderungen zu bewältigen. Es muss jedoch konstatiert werden, dass eine systematische und vollständige digitale Katalogisierung oder gar digitale Publikation des kulturellen Erbes noch nicht erfolgt ist. Abschließend wird aufgezeigt, inwiefern das Internet als Informationsinfrastruktur für die Siebenbürger Sachsen in Zeiten der generativen KI genutzt werden kann und sollte. Dabei möchte ich auf zwei besondere Aufgaben und Herausforderungen hinweisen, die meines Erachtens für die Aneignung, Bewahrung und Weiterentwicklung des siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes im Zeitalter der generativen KI von entscheidender Bedeutung sind.

Generative KI: Chancen und Gefahren

Die generative KI ist ein leistungsfähiges Werkzeug, das auf menschliche Aufforderungen, Fragen und Hinweise, Prompts genannt, in der Regel qualitativ hochwertige Antworten liefern kann. Sie berechnet die statistisch wahrscheinlichsten Wortkombinationen für die in dem Prompt gegebenen Eingaben.

Die Nutzung der generativen KI ist für den Anwender mit geringen Schwierigkeiten verbunden. Es gibt mehrere große Sprachmodelle, von denen die von Google und Microsoft am weitesten verbreitet sind. Die Nutzung dieser Produkte setzt lediglich die Installation einer App auf dem PC, Smartphone oder Tablet voraus, beispielsweise Bing von Microsoft oder Gemini von Google. In der Folge besteht die Option, mündlich oder schriftlich formulierte Fragen einzugeben, welche umgehend beantwortet werden. Die Kommunikation mit der generativen KI erfolgt in einer Weise, die einer menschlichen Interaktion ähnelt.

In meinem Artikel Philosophie generativer Künstlicher Intelligenz (KI). Große Sprachmodelle: Theoretische Grenzen und Möglichkeiten, praktische Gefahren und Vorteile setzte ich mich etwas ausführlicher mit den Grundlagen generativer KI auseinander. Im Folgenden gehe ich nur kurz darauf ein.

Um die philosophischen Grundlagen generativer KI zu erläutern, habe ich grundlegende philosophische Fragestellungen (axiologische, epistemologische, methodologische und ontologische) aus dem Bereich der Wissenschaftsphilosophie auf die generative KI angewendet. Meiner Meinung nach bilden Big Data den Gegenstand oder die ontologischen Grundlagen, die Algorithmen die Methodologie (methodologische Grundlagen) und das Training wird anhand von epistemischen und axiologischen Grundlagen durchgeführt. Diese vier Bereiche können idealtypisch unterschieden werden.

Auch das siebenbürgisch-sächsische Kulturerbe wurde bereits Gegenstand generativer KI-Anwendungen, allerdings lediglich der Teil, der digitalisiert und öffentlich zugänglich ist. Diese Daten bilden einen Teil des Gegenstandsbereiches der generativen KI. Die Algorithmen gewährleisten, dass eine maschinelle Beantwortung der Fragen möglich ist. Das Training mit epistemischen Werten zielt darauf ab, die Generierung wahrer Antworten zu fördern und die Produktion falscher Antworten zu unterbinden. Die Berücksichtigung axiologischer Werte (ethische, gesellschaftliche, politische etc.) soll eine zivilisierte Auseinandersetzung fördern und beleidigende und destruktive Kommunikation verhindern.

Zwar haben die Anbieter das letzte Wort, wenn es darum geht, die oben genannten Grundlagen zu bestimmen. Doch die Anwender oder Organisationen, die sich einem bestimmten Erbe verpflichtet fühlen, können indirekt Einfluss nehmen. Die Anbieter möchten möglichst qualitativ hochwertige Antworten liefern, davon hängt der wirtschaftliche Erfolg ab. Dazu brauchen sie erstens möglichst hochwertige Daten. Google und Microsoft speichern seit mehr als zwei Jahrzehnten alle Daten, die im Internet öffentlich zugänglich sind. In ihren Webarchiven finden sich sogar fast alle Änderungen, die z.B. an einer Homepage vorgenommen wurden. Praktisch können also alle öffentlich zugänglichen Daten zu einem Thema indirekt die Antworten bestimmen, da diese Daten von den Anbietern genutzt werden. Der Datenhunger wird auch in Zukunft anhalten, so dass dies auch für alle Daten gilt, die in Zukunft öffentlich publiziert werden. Während die methodologischen Grundlagen allein von den Anbietern bestimmt werden, gibt es beim Training wiederum indirekte Einflussmöglichkeiten auf die Antworten.

Die Qualität der Antworten ist aktuell in hohem Maße von der Mitwirkung der Nutzer abhängig. Diese können anhand von epistemischen Werten sogenannte Halluzinationen, d. h. schlicht falsche Angaben, identifizieren und den Anbietern melden. Des Weiteren sind die Anbieter dazu verpflichtet, die geltenden Gesetze zu befolgen. Weiterhin tun sie gut daran, auch die axiologischen Werte ihrer Nutzer zu respektieren. Infolgedessen finden auch die axiologischen oder wertgebundenen Reaktionen der Nutzer Berücksichtigung seitens der Anbieter.

Wichtig für die Siebenbürger Sachsen und ihre Vereine ist Folgendes: Man kann die Antworten indirekt beeinflussen, erstens durch die möglichst vollständige Digitalisierung und digitale Veröffentlichung des Kulturerbes und zweitens durch die Nutzung und damit das indirekte Training der Sprachmodelle. Damit diese indirekte Einflussnahme möglichst gut gelingt, sollten die theoretischen Grenzen und Möglichkeiten sowie die praktischen Chancen und Gefahren der generativen KI insgesamt bekannt sein.

Theoretische Möglichkeiten: Große Sprachmodelle sind in der Lage, alle bisher öffentlich zugänglichen digitalen Daten sowie eine in Zukunft exponentiell wachsende Datenmenge zu verwalten und daraus in Sekundenbruchteilen Antworten zu generieren. Dabei können Milliarden von Anfragen simultan bearbeitet werden. Theoretische Grenzen: Trotz hervorragender Leistungen verfügt die generative KI erstens nur über eine schwache Intelligenz, da sie keine Texte verstehen kann. Die quantitative Methodologie der generativen KI ermöglicht zwar eine korrekte Syntax, jedoch keine Semantik. Daher kommt auch die Bezeichnung eines stochastischen Papageis. Ein Vergleich mit der menschlichen Intelligenz zeigt, was noch fehlt, damit aus einem KI-Roboter ein handelnder künstlicher Experte wird, der Probleme wie ein Mensch lösen kann: Wahrnehmung, Bewusstsein, Selbstwahrnehmung und Selbstbewusstsein. Das große Ziel einer allgemeinen, menschlichen oder starken KI ist auch heute noch in weiter Ferne. Eine Superintelligenz war und ist Science-Fiction. Zweitens fehlen der generativen KI die Mittel, um die Transparenz und Verlässlichkeit der Antworten zu gewährleisten.

Praktische Chancen: Die generative KI kann mit einem digitalen Bibliothekar verglichen werden, der wie eine Suchmaschine über alle ihm verfügbaren Texte Auskunft geben kann. Die generative KI kann neue Texte generieren und große Textmengen zusammenfassen, Texte grammatikalisch und stilistisch verbessern und sie in verschiedene Sprachen übersetzen. Darüber hinaus können mit den großen Sprachmodellen auch Software-Codes generiert werden und diese Sprachmodelle sind nicht nur auf Texte, sondern auch auf Audios, Bilder und Videos anwendbar.

Praktische Gefahren: Zu den gravierendsten Gefahren zählen die nahezu unerschöpflichen Möglichkeiten der Desinformation, die den Unterschied zwischen Fakten und Fiktionen verwischen, sowie ein unkritischer Techno-Solutionismus, der sich durch ein blindes Vertrauen in die Technik auszeichnet. Noam Chomsky trifft den letzten Aspekt meiner Auffassung nach ziemlich genau, wenn er Sprachmodelle als digitale Plagiatoren bezeichnet. Die Modelle sind lediglich in der Lage, bereits vorhandenes Wissen zu kompilieren und zu paraphrasieren. Es ist nicht zu erwarten, dass grundlegende Innovationen von ihnen ausgehen werden. Dennoch ist davon auszugehen, dass die generative KI signifikante Auswirkungen in sämtlichen Lebensbereichen haben wird. Des Weiteren sind die potenziellen Gefahren zu nennen, die sich aus der Tatsache ergeben, dass eine kleine Anzahl großer Konzerne nach eigenem Gutdünken bestimmt, mit welchen Daten (Inhalten), Algorithmen und axiologischen und epistemischen Werten die großen Sprachmodelle konfiguriert werden.

Siebenbürger Sachsen: von einer festen Burg zu einem offenen Club oder von den sieben Stühlen zu den sieben Ländern

Im Folgenden erfolgt eine kurze Darstellung der Besonderheiten der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft und deren Institutionen. In einem ersten Schritt wird dargelegt, welche Institutionen die siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft über Jahrhunderte hinweg geprägt haben. In einem zweiten Schritt wird aufgezeigt, wie sich die Transformation von einer festen Burg zu einem offenen Club vollzogen hat. Einen umfassenderen historischen Überblick mit Hinweisen auf weiterführende Literatur habe ich im folgenden Artikel vorgelegt: Siebenbürger Sachsen - gestern, heute, morgen. Von einer festen Burg zu einem offenen Club.

Im Rahmen der Ostsiedlung wanderten seit dem 12. Jahrhundert Siedler aus Westeuropa, vor allem aus dem Rhein-Mosel-Gebiet, nach Siebenbürgen ein und ließen sich auf dem so genannten Königsboden der ungarischen Könige nieder. Dort gründeten sie die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen. Diese Gemeinschaft kann als eine Art feste Burg betrachtet werden, die alle Mitglieder umgab und für den Einzelnen von existenzieller Bedeutung war.

Grundlage der Gemeinschaft war der Goldene Freibrief von 1224, auch Andreanum genannt, weil er vom ungarischen König Andreas II. ausgestellt wurde. Das Andreanum ermöglichte den Siedlern, auf dem Königsboden ein autonomes Siedlungsgebiet zu etablieren. In diesem Zusammenhang wurde ihnen das Recht auf Selbstbestimmung zugesprochen und sie wurden dazu angehalten, als Gemeinschaft einig zu sein (unus sit populus).

Das physische Überleben haben über Jahrhunderte die siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen gesichert. Schon ab dem 12. Jahrhundert wurden die Kirchen mit Befestigungen umgeben, die ab dem 13. Jahrhundert aufgrund der großen Mongolenstürme (1241, 1242, 1285 und 1299) zu Wehranlagen weiterentwickelt wurden. Im 14. und 15. Jahrhundert wurden die Kirchenburgen zu umfassenden Wehranlagen ausgebaut, der Höhepunkt des Kirchenburgenbaus kam im 16. Jahrhundert. Diese sollten nun vor allem gegen die osmanischen Angriffe schützen, denen das Land vom 14. bis 18. Jahrhundert ausgesetzt war. Auch heute prägen noch ca. 190 Kirchenburgen die siebenbürgische Landschaft.

Im Laufe der Zeit etablierten sich neben den physischen Ringmauern weitere, den Zusammenhalt stärkende geistige Ringmauern oder identitätsstiftende Institutionen, welche das Überleben und die Wahrung der kulturellen Eigenständigkeit der Siebenbürger Sachsen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts in Siebenbürgen garantierten. Dazu zählten die Sächsische Nationsuniversität, die Evangelische Kirche A.B., die deutsche Sprache sowie ein ausgeprägtes Nachbarschafts- und Vereinswesen.

Die Bedrohung durch die Osmanen sowie die Gefährdung der rechtlichen Autonomie durch den ungarischen Adel und manchmal auch durch die Zentralmacht veranlassten das städtische Bürgertum, die Initiative zum politischen Zusammenschluss der deutschen Siedlergemeinschaften in Siebenbürgen zu ergreifen. Unter Berufung auf das Andreanum entstand 1486 die Sächsische Nationsuniversität (universitas saxonum, d.h. die Gesamtheit aller Sachsen). Diese hatte für den Einzelnen über Jahrhunderte eine ähnliche Bedeutung wie die heutige Staatsangehörigkeit. Sie fungierte als gemeinsame Gerichts-, Verwaltungs- und politische Instanz, die hoheitliche Aufgaben wahrnahm. Im Jahre 1876 verlor die Sächsische Nationsuniversität ihre Rechte, und damit verloren die Siebenbürger Sachsen nach mehr als sieben Jahrhunderten ihre politisch-rechtliche Autonomie. Bis zu ihrer endgültigen Auflösung im Jahre 1937 fungierte die Nationsuniversität als Stiftung und verwaltete das im Laufe der Jahrhunderte angesammelte Vermögen.

Neben dieser weltlichen Nationsuniversität kam ein religiöses Band oder eine religiöse Ringmauer hinzu: die „geistliche Universität“ (Konrad Gündisch) oder die "ecclesia Dei nationis Saxonicae". Aufgrund der religiösen Differenzierung seit der Reformation wurde dieses Band nochmals enger. Auf Initiative des Kronstädter Ratsherrn Johannes Honterus und des Hermannstädter Bürgermeisters Peter Haller wurde eine "Kirchenordnung aller Deutschen in Sybembürgen" gedruckt. Die Nationsuniversität hat diese Kirchenordnung 1550 in allen Städten und Gemeinden des Sachsenlandes eingeführt. Die schon in katholischer Zeit vorhandene geistliche Universität wurde nach der Reformation bestätigt. Dies galt für alle Siebenbürger Sachsen, nicht nur für die auf dem Königsboden. Die Siebenbürger Sachsen waren damit Mitglieder der Evangelischen Kirche A.B., während die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Siebenbürgens anderen christlichen Konfessionen angehörte. Ausnahme bildeten die Juden, die eine andere Religion hatten.

Auch sprachlich unterschieden sich die Siebenbürger Sachsen von allen anderen Bewohnern des Landes. Im privaten Bereich wurde der siebenbürgisch-sächsische Dialekt gesprochen, der Ähnlichkeiten mit den Reliktmundarten in Luxemburg und an der Mosel aufweist, während in Kirche, Schule und Verwaltung seit der Reformation überwiegend Hochdeutsch verwendet wurde. 1722 wurde die allgemeine Schulpflicht für Jungen und Mädchen eingeführt, sie mussten in deutscher Sprache lesen, schreiben und den Katechismus lernen. Damit gehörten die Siebenbürger Sachsen zu den ersten in Europa mit allgemeiner Schulpflicht.

Die Bruder-, Schwester- und Nachbarschaften, die die gesamte Gemeinschaft ab einer bestimmten Altersgrenze in der Regel verpflichtend umfasste, stellen eine Besonderheit der siebenbürgisch-sächsischen Dörfer dar. Die Aufnahme erfolgte nach der Konfirmation. In Aufbau, Organisation und Funktion ähnelten sie den Gesellen- und Zunftbruderschaften in den sächsischen Märkten und Städten.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts etablierten sich Zweckzusammenschlüsse, denen man freiwillig beitrat. Es kam zur Bildung von Vereinen in den Bereichen Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft, Schutz und Hilfe, Freizeit, Geselligkeit, Jugend und Senioren. Die über Jahrhunderte gelebten Grundsätze der Autonomie, Selbstverwaltung, Selbsthilfe und gegenseitigen Hilfe, wie sie nicht nur in der Nationsuniversität, sondern auch in Kirche sowie in den Primärgruppen (Bruder-, Schwester- und Nachbarschaften) schon eingeübt waren, konnten mit den neuen Institutionen auf eine neue Ebene gestellt werden.

Diese geistigen und physischen Ringmauern konstituierten sozusagen die siebenbürgisch-sächsische Burg, innerhalb derer die siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft vom 12. Jahrhundert bis Ende des 20. Jahrhundert lebte und sich weiterentwickelte. Wie auch bei anderen nationalen und religiösen Minderheiten entwickelte sich ein ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl, das von Toleranz gegenüber anderen Nationen und Religionen geprägt war: eine auch für heutige Verhältnisse vorbildliche "wehrhafte Toleranz" (Hans Bergel).

Die genannten siebenbürgisch-sächsischen Institutionen und Organisationen waren von existenzieller Bedeutung und garantierten, dass jeder Bürger Teil der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft von der Wiege bis zur Bahre durch ein umfassendes Netzwerk sozialer Beziehungen abgesichert und eingebunden war. Ein Leben außerhalb der Gemeinschaft war für die überwiegende Mehrheit der Betroffenen nahezu ausgeschlossen. Daher beschreiben folgende Zeilen aus dem Gedicht „Bleibe treu“ von Michael Albert (1836–1893), Dichter, Gymnasiallehrer und Schriftsteller, die Situation im 19. Jahrhundert völlig realistisch:
"Wie die Not auch dräng´ und zwinge,
Hier ist Kraft, sie zu bestehn;
Trittst du aus dem heil´gen Ringe,
Wirst du ehrlos untergeh´n
."

Diese kurz vorgestellten Institutionen bildeten die Ringmauern oder identitätsstiftenden Institutionen, die die Gemeinschaft zusammenhielten und über Jahrhunderte sowohl die kulturelle auch als die politische Autonomie der deutschen Siedler in Siebenbürgen, der Siebenbürger Sachsen, garantierten. Im Laufe der Jahrhunderte konnte so ein vielfältiges kulturelles Erbe geschaffen werden. Die Bewahrung ihrer kulturellen Eigenständigkeit gelang im Laufe der Jahrhunderte in verschiedenen Staaten:
1. von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis 1541 im mittelalterlichen Königreich Ungarn;
2. von 1541 bis 1699 im autonomen Fürstentum Siebenbürgen unter der Oberhoheit des Sultans und damit Teil des osmanischen Machtbereichs;
3. von 1699 bis 1867 zur Habsburgermonarchie und damit zu Österreich;
4. 1848-1849 zum revolutionären Ungarn, nach 1867 bis 1918 zu Transleithanien, dem ungarischen Teil der habsburgischen Doppelmonarchie;
5. seit 1918 in Rumänien;
6. seit Ende des 19. Jahrhunderte wanderten viele nach Amerika (USA und Kanada). Seit dem Zweiten Weltkrieg siedelten immer mehr Siebenbürger Sachsen in die Bundesrepublik Deutschland über, nahmen damit die deutsche Staatsbürgerschaft an und sind nun auch Deutsche im staatsnationalen Sinne;
7. Heute hat die überwiegende Mehrheit die deutsche Staatsangehörigkeit, weniger als 10 Prozent die rumänische, ein kleiner Teil die österreichische, US-amerikanische oder kanadische. In diesen Ländern gibt es siebenbürgisch-sächsische Vereine. Vereinzelt haben einige auch andere, manche haben gleichzeitig mehrere Staatsangehörigkeiten.

Die physische Existenz der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft war über die Jahrhunderte aufgrund von Mongolen- und Osmanenüberfällen wiederholt bedroht. Diesen Bedrohungen wurde, wie oben dargestellt, mit besseren Wehranlagen entgegengetreten. Im Gegensatz zu Westeuropa, wo der Dreißigjährige Krieg wütete, gab es in Siebenbürgen keine Religionskriege. Bereits 1557 bekannte sich der siebenbürgische Landtag zu Thorenburg auf Initiative der Sächsischen Nationsuniversität zur religiösen Toleranz, die die Jahrhunderte überdauerte. Mit dem Niedergang des Osmanischen Reiches verschwanden aber nicht die Gefahren für die Gemeinschaft, die Siebenbürger Sachsen mussten sich danach mit anderen existenziellen Bedrohungen auseinandersetzen. Diese begannen schon Ende des 18. Jahrhunderts und führten dann im 19. und 20. Jahrhundert aufgrund der nationalen Auseinandersetzungen zu großen Verwerfungen.

Die „Erfindung der Nation” (Benedict Anderson) und die Entstehung von Nationalstaaten sowie die damit einhergehende „soziale Mobilisierung“ (Karl W. Deutsch) haben sowohl positive als auch negative Entwicklungen bewirkt. Einerseits wurden zuvor nie gekannte Formen der Solidarität innerhalb der Nation etabliert, andererseits kam es zu Brutalität und Hass gegenüber anderen Nationalitäten. Zu den positiven Ergebnissen zählt die Überwindung der Agrargesellschaft und die Etablierung der industriellen Welt, die u. a. folgende bedeutende Fortschritte ermöglichte: die Entstehung von nationalen Kulturen und kultureller Vielfalt, die Etablierung der repräsentativen Demokratie, des Rechtsstaates, die Schaffung von Wohlstand sowie sozialen Sicherungssystemen, die nationale Solidarität geradezu voraussetzen.

Die Nationalbewegungen fordern seit dem 19. Jahrhundert die Errichtung von Nationalstaaten. Die Nationalität stellt neben der Religion und der Rasse ein weiteres Instrument dar, um Unterschiede zwischen Menschen zu missbrauchen und Macht und Herrschaft zu legitimieren. Die Schaffung von national homogenen Staaten in einem Vielvölkerraum führte unweigerlich zu Konflikten und Kulturkämpfen. Die Verquickung von nationalen und territorialen Fragen führte zu einer negativen Entwicklung, was sich insbesondere in der Brutalität der kriegerischen Auseinandersetzungen manifestiert. Der nationale Chauvinismus ist eine historische Erscheinung, die vor allem im 20. Jahrhundert ihre schrecklichsten Auswüchse hervorbrachte. Dazu zählen insbesondere die „demographische Kriegführung“ (Dan Diner) oder ethnische Säuberungen in Form von Genozid und Vertreibung. Die faktische Ausbürgerung und Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Ost- und Südosteuropa kann als Ergebnis des nationalen Chauvinismus des 19. und vor allem des 20. Jahrhunderts betrachtet werden. Der Prozess vollzog sich in mehreren Phasen. Im Anschluss erfolgt eine exemplarische Darstellung dieser Entwicklung am Beispiel der Siebenbürger Sachsen.

Die erste Phase ist gekennzeichnet durch eine Vielzahl von national bedingten Benachteiligungen. Als Ausgangspunkt kann die Josephinische Reformbewegung am Ende des 18. Jahrhunderts betrachtet werden. Die Ankündigung, Deutsch statt Latein als Amtssprache einzusetzen, führte insbesondere bei den Magyaren zu Widerstand. In der Konsequenz wurde sozusagen als Kollateralschaden das nationale Zeitalter in der Habsburgermonarchie eingeläutet, was jedoch nicht intendiert war. Die von Joseph II. (1765–1790), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, im Sinne des aufgeklärten Absolutismus durchgeführten Josephinischen Reformen lösten bei den Siebenbürger Sachsen eine Diskussion um ein Finis Saxoniae aus. Dabei wurde die Gefahr einer Auflösung der Gemeinschaft diskutiert, weil die Rechte der Siebenbürger Sachsen erstmals durch das Konzivilitätsreskript (1781) und zweitens durch die Abschaffung des Kuriatvotums (1792) massiv eingeschränkt wurden. Nach dem Konzivilitätsreskript konnten auch Mitglieder anderen Nationen Grund und Boden auf dem Königsboden erwerben, dies war seit dem 12. Jahrhundert in der Regel nur den Siebenbürger Sachsen gestattet. Das Kuriatvotum hatte in der Fürstenzeit zur Folge, dass jede siebenbürgische Standesnation, der ungarische Adel, die Szekler und die Siebenbürger Sachsen, als Stand je eine Stimme im Landtag Siebenbürgens hatten, ohne die kein Gesetz verabschiedet werden konnte (Vetorecht). Die nunmehrige Abstimmung nach Köpfen führte dazu, dass die Sachsen nun hoffnungslos in der Minderheit (ca. 10 Prozent) waren. Joseph II. machte auf dem Totenbett die meisten seiner Reformen rückgängig, sein Nachfolger Leopold II. restaurierte die Nationsuniversität, die bis 1876 fortbestand, als die jahrhunderteralte Autonomie der Siebenbürger Sachsen zerschlagen wurde.

In der Folgezeit sahen sich die Siebenbürger Sachsen mit Kulturkämpfen in Form von Madjarisierungs- und ab 1918 mit Rumänisierungsbestrebungen konfrontiert. Diese konnten vor allem dadurch abgewehrt werden, dass die deutschen Schulen der Siebenbürger Sachsen bis nach dem Zweiten Weltkrieg als konfessionelle Schulen unter der Trägerschaft der Evangelischen Kirche A.B. geführt wurden.

In der zweiten Phase wurde eine Vielzahl bilateraler Verträge des Dritten Reiches mit ost- und südosteuropäischen Staaten geschlossen, welche die Umsiedlung („Heim-ins-Reich-Aktion“) von Deutschen aus den baltischen Staaten, der Sowjetunion, Rumänien, Ungarn, Kroatien, Bulgarien und zum Teil aus dem italienischen Südtirol nach Deutschland zur Folge hatten. Von diesen Umsiedlungsaktionen waren die Siebenbürger Sachsen nicht betroffen. Aufgrund von Verträgen von 1943 zwischen dem Dritten Reich und Ungarn sowie Rumänien wurden die wehrfähigen deutschen Männer in die Wehrmacht, vor allem aber in die Waffen-SS einberufen. Diese Verträge zeigen, wie weit die faktische Ausbürgerung der Deutschen in Ost- und Südosteuropa bereits fortgeschritten war. Das Deutsche Reich sah sich ganz selbstverständlich für Millionen von Deutschen mit anderer Staatsangehörigkeit zuständig. Die Siebenbürger Sachsen haben sich zwar über Jahrhunderte als Deutsche betrachtet, Siebenbürgen hat jedoch niemals zu Deutschland gehört und die Siebenbürger Sachsen waren damals teils rumänische, teils ungarische Staatsbürger. Diese Vorgänge haben bis heute ein friedliches und normales Zusammenleben der Deutschen mit anderen Völkern in Ost- und Südosteuropa belastet.

Die dritte Phase der faktischen Aussiedlung und Vertreibung begann mit dem Zweiten Weltkrieg und führte zu Flucht, Deportation, Enteignung, Vertreibung und Zwangsumsiedlung. Die Siebenbürger Sachsen in den Hauptsiedlungsgebieten Altland und Burzenland waren von Flucht und Vertreibung nicht betroffen, da Rumänien keine Vertreibungen durchführte. Nur aus Nordsiebenbürgen (Nösnerland), das 1940-1944 zu Ungarn gehörte, flohen die Siebenbürger Sachsen in mehreren Trecks nach Westen. Betroffen waren aber die in Rumänien Verbliebenen von der Deportation zu Arbeitslagern in die Sowjetunion. Die deutschen Siedlergruppen in Ostmitteleuropa wurden stellvertretend für die von Hitler-Deutschland verursachten Kriegsschäden und Verbrechen bestraft (und in eine Art nationaler Sippenhaft genommen), obwohl sie, da sie außerhalb des Deutschen Reiches lebten, an der Errichtung des NS-Regimes nicht beteiligt gewesen sein konnten. Am 6. Januar 1945 wurden 30.336 Siebenbürger Sachsen (15 % der Bevölkerung) in die Sowjetunion deportiert, alle Männer zwischen 17 und 45 Jahren, die sich nicht bereits in Kriegsgefangenschaft befanden, und die Frauen zwischen 18 und 35 Jahren. Die letzten kehrten 1949 aus der Deportation zurück, 3.076 Personen (12 %) starben in der Sowjetunion (Georg Weber u.a.).

Die vierte Phase dieser Entwicklung begann 1949 und dauerte bis Ende des 20. Jahrhunderts. Der Nationalismus, den der Kommunismus trotz gegenteiliger Beteuerungen förderte, feierte in neuer Kleidung seine Wiederauferstehung. Diese Zeit ist gekennzeichnet durch vielfältige Benachteiligungen der Zurückgebliebenen und führte zur Aussiedlung aus den Ländern Ost- und Südosteuropas. Das Jahr 1949 gilt als das Ende der eigentlichen kriegsbedingten Flucht und Vertreibung. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kamen vor allem ehemalige Soldaten und Flüchtlinge aus Nordsiebenbürgen nach Deutschland sowie entkräftete Deportierte, die in die Sowjetzone (SBZ) entlassen wurden. In den fünfziger Jahren verließen jährlich etwa 350 Deutsche Rumänien, in den sechziger Jahren stieg die Zahl und nach dem Abkommen zwischen Helmut Schmidt und Nicolae Ceaușescu 1978 nochmals an. 1990 waren es 111.150, 1991 32.178, 1992 16.146, danach jährlich etwa 6.000, davon etwa 50 Prozent Siebenbürger Sachsen (Ernst Wagner).

Die oben genannten siebenbürgisch-sächsischen Strukturen erfuhren erst nach dem Zweiten Weltkrieg einen radikalen Wandel. Am Ende dieser Entwicklungen stand eine radikale Veränderung der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft. Das einschneidendste Ergebnis war, dass die Siebenbürger Sachsen ihr gemeinsames Siedlungsgebiet verloren. Weniger als 10 Prozent lebten zur Jahrtausendwende noch in Siebenbürgen. Auch das religiöse Band hat seine prägende Bedeutung verloren. Die vor dem Zweiten Weltkrieg zweifellos vorhandene religiöse Bindung an die Evangelische Kirche A.B. ist nur noch bei einem Bruchteil der Menschen vorhanden. Die Migrationsbewegungen des 20. Jahrhunderts haben auch zu einer Veränderung der Bedeutung der Sprache als einigendes Band dieser Gemeinschaft geführt. Einerseits wird der Dialekt von immer weniger Nachkommen gesprochen, andererseits ist teilweise sogar das Verständnis desselben verloren gegangen. Die Siebenbürger Sachsen, die in den USA und Kanada teilweise schon seit Ende des 19. Jahrhunderts leben, verwenden als Erstsprache das Englische, verstehen nur ansatzweise Deutsch, die allerwenigsten den siebenbürgisch-sächsischen Dialekt. In den deutschen Schulen in Rumänien lernen teilweise über 90 Prozent der Schüler, deren Eltern beide eine andere, in der Regel rumänische Nationalität angehören. Ein nicht unerheblicher Anteil dieser Schüler zeigt ein ausgeprägtes Interesse am siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbe und ist bereit, sich dieses anzueignen und weiterzuentwickeln. Um allen, die sich für die Aneignung, Bewahrung und Weiterentwicklung des siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes begeistern und mitwirken möchten, die Möglichkeit zu geben, sich zu informieren, habe ich diesen Artikel auch in englischer und rumänischer Sprache verfasst.

Das siebenbürgisch-sächsische Nachbarschafts- und Vereinswesen konnte nicht nur in Rumänien, sondern vor allem auch in Deutschland, aber auch in den USA und Kanada, Österreich und der Schweiz teilweise gerettet, wieder aufgebaut oder neu etabliert werden. Fast jeder siebenbürgisch-sächsische Ort verfügt über eine Heimatsortgemeinschaft, die die Verbindung der ehemaligen Bewohner weltweit aufrechterhält und vor allem sich auch in Siebenbürgen für den Erhalt der Kirchen und der Kirchenburgen einsetzt. Viele der bereits im 19. Jahrhundert gegründeten Vereine sind auch heute noch sehr aktiv. Das siebenbürgisch-sächsische Kulturerbe ist das einzig verbliebene Band der Sympathie, das die Siebenbürger Sachsen weltweit verbindet und dem sich die heute bestehenden Vereine widmen. Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts ist die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen keine feste Burg mehr, sondern ein offener Club, in dem jeder, der sich für das siebenbürgisch-sächsische Kulturerbe interessiert, mitmachen kann. Das Fehlen eines gemeinsamen Siedlungsgebietes hat dazu geführt, dass die siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft nur noch durch gemeinsame Interessen zusammengehalten wird und daher eher mit einem offenen Club vergleichbar ist: Jeder, der sich für das siebenbürgisch-sächsische Erbe interessiert oder Mitglied in einem der vielen Vereine ist, gehört dazu.

Das Wappen der Siebenbürger Sachsen zeigt sieben Burgen, die der Sage nach einerseits an den Namen „Siebenbürgen“ oder „sieben Burgen“ und andererseits an die sieben Stühle erinnern sollen. Es gab aber nicht nur sieben Burgen in Siebenbürgen, sondern über 200. Etwa 190 Kirchenburgen oder deren Überreste sind heute noch zu sehen. Die ursprüngliche Struktur umfasste acht Stühle, nämlich den Hauptstuhl Hermannstadt und die sieben Nebenstühle (Schäßburg, Mühlbach, Großschenk, Reußmarkt, Reps, Leschkirch und Broos). Alle acht Stühle fungierten auch als Verwaltungseinheiten der Nationsuniversität. Der Weg der überwiegenden Mehrheit der Siebenbürger Sachsen führte aus ihrem Siedlungsgebiet in Siebenbürgen hinaus in die weite Welt. Heute leben Siebenbürger Sachsen in verschiedenen Ländern wie Deutschland, Rumänien, Österreich, der Schweiz, den USA und Kanada. Eine kleine Anzahl von ihnen lebt auch in vielen anderen Ländern. Es kann daher festgestellt werden, dass die sieben Burgen in den Logos und Wappen nach wie vor ihre Berechtigung haben. Die sechs Burgen, die jeweils eines der oben genannten Länder repräsentieren, und die siebte Burg, die den Rest der Welt symbolisiert, bilden ein Ensemble, das in seiner Gesamtheit das heutige Siedlungsgebiet der Siebenbürger Sachsen widerspiegelt.

Robert Linz (1957 bis 2014) hat auf meinen Wunsch hin einige Logos für siebenbürgisch-sächsische Vereine entworfen, die von allen Gruppen oder Vereinen verwendet werden können. Weitere Logos von ihm sowie Informationen und Literatur über Logos und Wappen gibt es in meinem Beitrag: Logos und Wappen. Weiterentwicklung des siebenbürgisch-sächsischen Corporate Designs.

In Bezug auf das Kommunikationsdesign (Corporate Design) der siebenbürgisch-sächsischen Institutionen ist festzuhalten, dass zwei Elemente Berücksichtigung finden sollten. Dies sind zum einen die Farben der siebenbürgisch-sächsischen Fahne, Blau und Rot. Als zweites Element sind aus den oben angeführten Gründen die sieben Burgen zu nennen. Daher lautet meine Empfehlung folgendermaßen: Jeder Verein oder informelle Zusammenschluss, der sich dem siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbe verpflichtet fühlt, sollte ein Logo oder Wappen verwenden, welches die beiden genannten Grundelemente enthält. Logos sind moderne optische Signale, die in der Informationsflut Orientierung bieten. Das Logo hat (teilweise) die Funktionen des Wappens übernommen und dient als Erkennungszeichen sowie Orientierungshilfe: schnell erkennbar, klar identifizierbar. Im Unterschied zum Wappen, das zuerst ein individuelles Zeichen war, ist das Logo in der Regel kein individuelles oder konkretes Erkennungszeichen, sondern ein abstraktes Symbol. Sicherlich haben sich auch einige Wappen von einem individuellen zu einem abstrakten Symbol entwickelt, so auch die siebenbürgisch-sächsischen Wappen, die in ihren schwarz-weiß-Versionen mit keiner siebenbürgisch-sächsischen Institution eindeutig in Verbindung gebracht werden können.

Vom gemeinsamen Lebensraum in Siebenbürgen zum gemeinsamen Kommunikationsraum im Internet

Das gemeinsame Siedlungsgebiet, eine von mehreren Ringmauern, die im Laufe der Geschichte verloren gingen, haben die Siebenbürger Sachsen im 20. Jahrhundert endgültig verloren. Die durch Geographie bedingten Gemeinsamkeiten gehören seit der Aussiedlung in kommunistischer Zeit und dem Massenexodus nach endgültig der Vergangenheit an, aber es gibt für die weltweit verstreuten Siebenbürger Sachsen weiterhin gemeinsame Interessen. Die Siebenbürger Sachsen leben heute über die ganze Welt verstreut, wobei sich die meisten Menschen und siebenbürgisch-sächsischen Institutionen in Deutschland befinden. Auch in Siebenbürgen/Rumänien, Österreich, der Schweiz, den USA und Kanada gibt es noch sehr aktive Institutionen. Die Siebenbürger Sachsen haben daher nicht nur in Siebenbürgen eine Zukunft, sondern in all den Ländern, wo es siebenbürgisch-sächsische Institutionen und Menschen gibt, die an einer Pflege und Weiterentwicklung des oft zitierten „unsichtbaren Gepäcks“, des siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes, interessiert sind.

Die überwiegende Mehrheit der Siebenbürger Sachsen war am Ende des 20. Jahrhunderts davon überzeugt, das Ende einer über 850-jährigen Geschichte der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft, Kultur und Identität zu erleben. Manche konnten sich eine Zukunft der Siebenbürger Sachsen nur in Siebenbürgen vorstellen. Da die Zahl der Rückkehrer sehr gering war, war diese Option von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Nachdem der gemeinsame Lebensraum in Siebenbürgen Geschichte war, etablierten die Siebenbürger Sachsen einen gemeinsamen Kommunikationsraum im Internet, wodurch ein neues Band geknüpft wurde. Seit 1995 entstanden Kommunikations- und Publikationsmöglichkeiten im Internet, die zuerst von einzelnen Personen, danach auch von siebenbürgisch-sächsischen Vereinen erstellt und genutzt wurden.

Internet als digitaler Kommunikationsraum oder ein neues Band für die Siebenbürger Sachsen

Das Internet, das sich Ende des 20. Jahrhunderts entwickelt hat, bietet die Möglichkeit, Kommunikations- und Publikationsräume unabhängig von Raum und Zeit zu schaffen. Digitale Kommunikationsräume im Internet können zwar das reale Gespräch in Raum und Zeit nicht vollständig ersetzen, sie sind aber ein geeignetes Instrument, um miteinander im Gespräch zu bleiben. Dasselbe gilt für digitale Publikationsmöglichkeiten, sie können analoge nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Trotzdem kam das Internet wie geschaffen für die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen, die genau in diesen Jahren ihren gemeinsamen Lebensraum in Siebenbürgen verloren hatten. Das Internet kann neben den Vereinen die zweite Säule bilden, die den Erhalt des siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes sichert. Von Oktober 1995 bis Mai 2003 habe ich mich in verschiedenen ehrenamtlichen Funktionen (Kultur- und Pressereferent, stellvertretender Landesvorsitzender) im Verband der Siebenbürger Sachsen als auch bei anderen siebenbürgisch-sächsischen Organisationen für die Nutzung des Internets eingesetzt. In Vorträgen und persönlichen Gesprächen habe ich auf die zukünftige Bedeutung des Internets hingewiesen. Die wichtigsten Argumente finden sich in diesem Artikel, der 1999 veröffentlicht wurde: Gemeinsame Kommunikationsräume im Internet.

Internet Ressourcen der Siebenbürger Sachsen

Im Folgenden wird ein kurzer, paradigmatischer Überblick über die Entstehung und den aktuellen Stand der von den Siebenbürger Sachsen und ihren Institutionen seit fast drei Jahrzehnten aufgebauten Internetstrukturen gegeben, die digitale Kommunikation und digitales Publizieren ermöglichen.

Die Digitalisierung nimmt seit den 1950er Jahren Fahrt auf, dadurch dass digitale Wissensdatenbanken aufgebaut werden. In diesem Kontext ist zu erwähnen, dass nahezu zeitgleich dazu auch die Entwicklung von Werkzeugen einsetzte, welche den Austausch digitaler Daten weltweit ermöglichen. Als Beispiele können hier die Sendung der ersten E-Mail (1971) oder das Internet-Protokoll (1974) genannt werden. Tim Berners-Lee entwickelte im Jahr 1989 am CERN in der Schweiz das World Wide Web (WWW) sowie im Jahr 1990 den ersten Webbrowser. Dank dieser und vieler anderer technischer Innovationen etablierte sich das Internet in seiner heutigen Form, wie es von den meisten Menschen seit über drei Jahrzehnten genutzt wird. Das Internet ermöglicht insbesondere digitale Kommunikation sowie digitale Publikationen und hat zu einer signifikanten Zunahme digitaler Informationen geführt. Ein sehr einfaches Verweissystem (Hyperlinks) ermöglicht den Nutzern problemlos den Zugang zu allen digitalen Publikationen. Die digitale Kommunikation und Publikation im Internet gewannen neben den analogen Medien stark an Bedeutung.

1990 kam ich erstmals mit Wissensdatenbanken in Berührung, und zwar den EG-Datenbanken. Bei der Vorbereitung meines Buches über die Europäischen Gemeinschaften (Unternehmensführung in der EG. Praktische Hilfen für eine binnenmarktorientierte Unternehmensführung) wurde mir klar, dass eine seriöse Auseinandersetzung ohne Einbeziehung der digitalen Wissensdatenbanken kaum möglich ist. Daher habe ich mich im dritten Teil des Buches mit der Informationsbeschaffung im EG-Binnenmarkt beschäftigt, wobei sowohl analoge als auch digitale Informationsquellen behandelt wurden. Aufgrund dieser Erfahrungen habe ich mich dann ab 1994 auch beruflich mit den Kommunikations- und Publikationsmöglichkeiten des Internets beschäftigt und für verschiedene Weiterbildungsorganisationen Kurse zur beruflichen und privaten Nutzung des Internets, zur Internetrecherche, zu HTML sowie zum Web-Publishing durchgeführt.

Am Rechenzentrum der Universität Heidelberg besuchte ich die Einführungskurse in HTML und erhielt dadurch Speicherplatz für meine ersten Gehversuche im Internet. Im März 1995 habe ich hier die ersten Informationen über die Siebenbürger Sachsen im Internet veröffentlicht. Es waren einige Bilder und Informationen über mein Heimatdorf Reußen. Alle meine Beiträge und Projekte über die Siebenbürger Sachsen sind hier zu finden: siebenbuergersachsen.de. Jochen Philippi hat nach eigenen Angaben Ende 1995 oder Anfang 1996 den Siebenbürger-Web-Server (SWS) am Rechenzentrum der Universität München gehostet. Anfangs u.a. einen Artikel über die Geschichte der Siebenbürger Sachsen, dann eine Mitfahrzentrale. 1998 hat er den Siebenbürgen Webring programmiert, mit dessen Hilfe man problemlos von einem Angebot über Siebenbürgen zum nächsten navigieren konnte. Im Januar 1998 erfolgte durch Hans-Detlev Buchner die Eröffnung der Rokestuf, welche sich in der Folgezeit zur am meisten frequentierten Kommunikationsplattform der Siebenbürger Sachsen im Internet entwickelte.

Bis zur Jahrtausendwende wurden viele weitere Homepages erstellt, die Informationen über Siebenbürgen oder die Siebenbürger Sachsen ins Internet stellten und Möglichkeiten zur Kommunikation untereinander anboten. Das umfassendste Projekt wurde im Jahr 1999 anlässlich der Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen der Landesgruppe Baden-Württemberg erstellt: Siebenbürger Sachsen in Baden-Württemberg. Es handelte sich um ein trimediales Projekt, welches als Buch, Internet-Auftritt sowie CD-ROM erstellt wurde. Die Konzeption sowie die Koordination des Projektes lagen in meiner Verantwortung. Die Erstellung des Internet-Auftritts erfolgte in Zusammenarbeit mit Robert Sonnleitner, während Robert Sonnleitner und Bernd Schörwerth die Verantwortung für die CD-ROM trugen. Die Koordination der Buchproduktion oblag mir. Insgesamt waren mehr als 70 Personen unmittelbar oder mittelbar an der Realisierung des Projekts beteiligt.

Zurzeit gibt es eine kaum noch überschaubare Anzahl von Angeboten. Das umfassendste Angebot betreut Robert Sonnleitner mit seinem Webmasterteam, zu dem auch Günther Melzer, Gunther Krauss und Hans-Detlev Buchner gehören. Siebenbuerger.de wird von dem Verband der Siebenbürger Sachsen seit dem Jahr 2000 herausgegeben und figuriert als dessen Homepage. Robert Sonnleitner ist seit November 1999 Internetbeauftragter des Verbandes und koordiniert sowohl die digitale Kommunikation, die digitale Publikation als auch die Internet-Weiterbildung von Multiplikatoren.

Digitale Kommunikation: In der Zeit vor der Jahrhundertwende fungierte, wie oben erwähnt, die Rokestuf als der meist frequentierte gemeinsame Kommunikationsraum der Siebenbürger Sachsen. In den 2000er Jahren übernimmt das Forum auf siebenbuerger.de diese Rolle. Seit der Etablierung des Web 2.0 erfolgt die gemeinsame Kommunikation vornehmlich über die sozialen Medien YouTube, Facebook, WhatsApp, Instagram und TikTok. Die Corona-Zeit hat zu einer signifikanten Zunahme der digitalen Kommunikation geführt. Folglich konnten zahlreiche Sitzungen der siebenbürgisch-sächsischen Vereine lediglich digital abgehalten werden. Im Jahr 2020 wurde der Heimattag der Siebenbürger Sachsen erstmals ausschließlich in digitaler Form durchgeführt, siehe dazu den Beitrag: Ein Heimattag zwischen Bildschirmen: Digitaler Heimattag 2020. Seither werden Sitzungen der Gremien mitunter auch in hybrider Form abgehalten, wobei Personen, die nicht vor Ort sein können, über das Internet zugeschaltet werden. Seit 2021 erfolgt auch die Live-Übertragung der meisten Veranstaltungen des Heimattages in Dinkelsbühl über das Internet. Diese werden von Hermann Depner koordiniert. Den Zuschauern weltweit wird nicht nur die Möglichkeit geboten, die Veranstaltungen zu verfolgen, sondern sie können sich darüber hinaus daran beteiligen, etwa am Montag bei der Podiumsdiskussion selbst Fragen stellen: Heimattag live für daheim.

Digitale Publikation: Es kann konstatiert werden, dass bei Anfragen zu den Siebenbürger Sachsen, beispielsweise an den Copiloten von Microsoft, nahezu immer auch siebenbuerger.de als Quelle angegeben wird. Dies ist darauf zurückzuführen, dass auf dieser Homepage seit mehr als zwei Jahrzehnten täglich neue Informationen ins Internet gestellt werden. Für die Einhaltung der journalistischen Standards bürgt die Redaktion der Siebenbürgischen Zeitung, Siegbert Bruss als Chefredakteur und Christian Schoger als stellvertretender Chefredakteur. So werden seit Jahren täglich drei Artikel veröffentlicht, wobei oft auch andere Informationen hinzukommen. Weiterhin wurde 2010 das Archiv der Siebenbürgischen Zeitung digitalisiert: 18315 Seiten Geschichte: Das Archiv der Siebenbürgischen Zeitung ist online.

Internet-Seminare: Einmal pro Jahr findet in Bad Kissingen ein Internet-Seminar für Multiplikatoren statt, in dessen Rahmen die neuesten Entwicklungen und Werkzeuge für das Internet vorgestellt werden. Im Dezember 2023 wurde das 15. Internet-Seminar durchgeführt, im Rahmen dessen die generative KI präsentiert wurde: Werkzeuge der Zukunft: Internetseminar über „Künstliche Intelligenz“ in Bad Kissingen. In diesem Kontext sei zudem darauf verwiesen, dass die Webmaster auch an zahlreichen anderen Homepages von siebenbürgisch-sächsischen Vereinen direkt oder indirekt beteiligt sind.

Defizite: mangelnde Digitalisierung und fehlende Online-Konzepte bei den meisten Vereinen der Siebenbürger Sachsen

Obgleich die zuvor dargelegten Angebote zum Teil exzellente Ansätze und Resultate aufweisen, erweist sich die vollständige Digitalisierung des kulturellen Erbes für die Siebenbürger Sachsen als beträchtliche Herausforderung. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die meisten Vereine diese Aufgabe, sofern sie diese denn überhaupt in Angriff genommen haben, bislang lediglich unzureichend bewältigt haben. In Bezug auf die Umsetzung einer professionellen Internetstrategie kann festgestellt werden, dass der Verband der Siebenbürger Sachsen als einziger Verein der Siebenbürger Sachsen seit über zwei Jahrzehnten über eine derartige Strategie verfügt, welche zudem vorbildlich umgesetzt wird. Neben dem Verband haben auch andere siebenbürgisch-sächsische Vereine bemerkenswerte Digitalisierungsprojekte durchgeführt. Dazu zählt beispielsweise die digitale Katalogisierung der Siebenbürgischen Bibliothek in Gundelsheim, die nun an das Internet angeschlossen ist, sowie die Online-Verfügbarkeit des Urkundenbuchs. Für eine systematische sowie umfassende digitale Katalogisierung und eine möglichst öffentliche digitale Publikation sämtlicher physischer Artefakte und aller schriftlichen Dokumente ist eine entsprechende digitale Infrastruktur erforderlich. Diesbezüglich ist die Digitalisierung sämtlicher 95.000 bibliographischen Einheiten der Siebenbürgischen Bibliothek erforderlich.

Nach der Veröffentlichung erfolgt die Indizierung durch Suchmaschinen und große Sprachmodelle, wodurch das Werk weltweit für alle Menschen zugänglich wird. Erst durch diese Maßnahmen kann das kulturelle Erbe der Siebenbürger Sachsen auch in Zukunft präsent und für alle zugänglich bleiben. Die Qualität der Antworten, die eine generative KI liefern kann, ist sowohl von der Quantität als auch von der Qualität der verfügbaren Informationen abhängig.

Aufgaben: Digitalisierung und Konzepte zur Aneignung, Bewahrung und Weiterentwicklung im Sinne der Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen

Abschließend möchte ich noch einmal auf zwei besonders herausfordernde Zukunftsaufgaben hinweisen, die meines Erachtens für die Aneignung, Bewahrung und Weiterentwicklung des siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes im Zeitalter der generativen KI von entscheidender Bedeutung sind. Beide Herausforderungen enthalten sowohl eine geistig-konzeptionelle als auch eine technische Seite.

Die Antworten, die die generative KI den Nutzern gibt, können indirekt beeinflusst werden. Dies kann auf zwei Wegen erfolgen: Einerseits durch die möglichst vollständige Digitalisierung und digitale Veröffentlichung des Kulturerbes und andererseits durch die Nutzung der generativen KI. Beide Maßnahmen bewirken ein indirektes Training der KI. Damit diese indirekte Einflussnahme möglichst gut gelingt, sollten die theoretischen Grenzen und Möglichkeiten sowie die praktischen Chancen und Gefahren der generativen KI insgesamt bekannt sein.

Die Digitalisierung des kulturellen Erbes stellt für die Siebenbürger Sachsen die erste große Herausforderung dar. Dabei ist sowohl eine umfassende digitale Katalogisierung aller kulturellen Artefakte als auch eine möglichst öffentliche digitale Publikation aller schriftlichen Dokumente notwendig. Sobald es veröffentlicht ist, wird es von den Suchmaschinen und großen Sprachmodellen indiziert und steht damit allen Menschen weltweit zur Verfügung. Erst dadurch kann das kulturelle Erbe der Siebenbürger Sachsen auch in Zukunft präsent und für alle zugänglich bleiben.

In einer Zeit, in der das kulturelle Erbe, ob man will oder nicht, auch maschinell weiterentwickelt wird, sind Konzepte gefragt, die eine Aneignung, Bewahrung und Weiterentwicklung im Sinne der Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen ermöglichen. Konkret geht es um die Erarbeitung von axiologischen (ethischen, politischen, soziale etc.) und epistemischen Werten, mit denen sowohl die Ergebnisse der großen Sprachmodelle bewertet werden, als auch mit deren Hilfe eine lebendige kulturelle Weiterentwicklung ermöglicht wird. Wenn diese beiden Aufgaben erfolgreich bewältigt werden, wird das siebenbürgisch-sächsische Kulturerbe auch in Zukunft bestehen, die Gemeinschaft zusammenhalten und die Identität der Siebenbürger Sachsen prägen, unabhängig davon, wo jemand lebt.

Fazit: Internet und generative KI als digitaler Kommunikationsraum für die Siebenbürger Sachsen

Das siebenbürgisch-sächsische Kulturerbe ist meiner Meinung nach seit dem Ende des 20. Jahrhundert fast das einzig verbliebene Band der Sympathie, das die siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft zusammenhält und die siebenbürgisch-sächsische Identität prägt. Meine zweite These besagt, dass das Internet dank generativer KI in Zukunft ein sehr leistungsfähiger digitaler Kommunikationsraum für die Aneignung, Bewahrung und Weiterentwicklung des siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes sein wird. Die Vereine und das Internet stellen, so meine dritte These, die maßgeblichsten Instrumente der Gemeinschaft dar. Abschließend werden sowohl die von mir angeführten Voraussetzungen als auch meine Vorschläge zur Erstellung digitaler Konzepte thesenartig zusammengefasst.

Generative KI: Chancen und Gefahren

Die generative KI ist ein leistungsfähiges Werkzeug, das auf menschliche Aufforderungen, Fragen und Hinweise, Prompts genannt, in der Regel qualitativ hochwertige Antworten liefern kann. Sie berechnet die statistisch wahrscheinlichsten Wortkombinationen für die in dem Prompt gegebenen Eingaben.

Das siebenbürgisch-sächsische Kulturerbe, das digitalisiert und öffentlich zugänglich ist, wurde bereits Gegenstand generativer KI-Anwendungen. Die Algorithmen gewährleisten, dass eine maschinelle Beantwortung der Fragen möglich ist. Das Training mit epistemischen Werten zielt darauf ab, die Generierung wahrer Antworten zu fördern und falsche Antworten zu unterbinden. Die Berücksichtigung axiologischer Werte (ethische, gesellschaftliche, politische etc.) soll eine zivilisierte Auseinandersetzung fördern und beleidigende und destruktive Kommunikation verhindern.

Theoretisch können Unmengen von Daten gespeichert und bearbeitet werden. Dabei können Milliarden von Anfragen simultan bearbeitet werden. Theoretische Grenzen bestehen darin, dass die generative KI nur über eine schwache Intelligenz verfügt, da sie keine Texte verstehen kann. Die quantitative Methodologie der generativen KI ermöglicht zwar eine korrekte Syntax, jedoch keine Semantik. Daher kommt auch die Bezeichnung eines stochastischen Papageis. Ein Vergleich mit der menschlichen Intelligenz zeigt, was noch fehlt, damit aus einem KI-Roboter ein handelnder künstlicher Experte wird, der Probleme wie ein Mensch lösen kann: Wahrnehmung, Bewusstsein, Selbstwahrnehmung und Selbstbewusstsein. Eine Superintelligenz war und ist zurzeit Science-Fiction. Zweitens fehlen der generativen KI die Mittel, um die Transparenz und Verlässlichkeit der Antworten zu gewährleisten.

Praktische Chancen bestehen darin, dass die generative KI neue Texte generieren, große Textmengen zusammenfassen, Texte grammatikalisch und stilistisch verbessern und sie in verschiedene Sprachen übersetzen kann. Die generative KI kann mit einem digitalen Bibliothekar verglichen werden, der wie eine Suchmaschine über alle ihm verfügbaren Texte Auskunft geben kann. Darüber hinaus können mit den großen Sprachmodellen auch Software-Codes generiert werden und diese Sprachmodelle sind nicht nur auf Texte, sondern auch auf Audios, Bilder und Videos anwendbar.

Zu den gravierendsten praktischen Gefahren zählen die nahezu unerschöpflichen Möglichkeiten der Desinformation, die den Unterschied zwischen Fakten und Fiktionen verwischen, sowie ein unkritischer Techno-Solutionismus, der sich durch ein blindes Vertrauen in die Technik auszeichnet.

Siebenbürger Sachsen: von einer festen Burg zu einem offenen Club oder von den sieben Stühlen zu den sieben Ländern

Im Rahmen der Ostsiedlung wanderten seit dem 12. Jahrhundert Siedler aus Westeuropa nach Siebenbürgen. Dort gründeten sie die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen. Das physische Überleben angesichts der Mongolen- (13. Jahrhundert) und Osmanenüberfälle (14. bis 18. Jahrhundert) haben über Jahrhunderte die siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen gesichert.

Im Laufe der Zeit etablierten sich neben den physischen Ringmauern weitere, den Zusammenhalt stärkende geistige Ringmauern oder identitätsstiftende Institutionen, welche das Überleben und die Wahrung der kulturellen Eigenständigkeit der Siebenbürger Sachsen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts in Siebenbürgen garantierten. Dazu zählten die Nationsuniversität, die Kirche, die deutsche Sprache sowie ein ausgeprägtes Nachbarschafts- und Vereinswesen.

Unter Berufung auf das Andreanum entstand 1486 die Sächsische Nationsuniversität (universitas saxonum). Sie fungierte als gemeinsame Gerichts-, Verwaltungs- und politische Instanz. Hinzu kam das religiöse Band, das seit der Reformation aufgrund der religiösen Differenzierung nochmals enger wurde. Auch sprachlich unterschieden sich die Siebenbürger Sachsen von allen anderen Bewohnern des Landes. Im privaten Bereich wurde der siebenbürgisch-sächsische Dialekt gesprochen, während in Kirche, Schule und Verwaltung seit der Reformation überwiegend Hochdeutsch verwendet wurde.

Diese geistigen und physischen Ringmauern konstituierten sozusagen die siebenbürgisch-sächsische Burg, innerhalb derer die siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft vom 12. Jahrhundert bis Ende des 20. Jahrhundert lebte und sich weiterentwickelte.

Die oben genannten siebenbürgisch-sächsischen Strukturen erfahren erst nach dem Zweiten Weltkrieg einen radikalen Wandel, mit Ausnahme die Nationsuniversität, die ihre Rechte schon 1876 verlor. Am Ende dieser Entwicklungen stand eine radikale Veränderung der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft. Das einschneidendste Ergebnis war, dass die Siebenbürger Sachsen ihr gemeinsames Siedlungsgebiet verloren. Weniger als zehn Prozent lebten zur Jahrtausendwende noch in Siebenbürgen.

Das Wappen der Siebenbürger Sachsen zeigt sieben Burgen, die der Sage nach einerseits an den Namen „Siebenbürgen“ (sieben Burgen) und andererseits an die sieben Stühle erinnern sollen (eigentlich acht, ein Hauptstuhl und sieben Nebenstühle). Der Weg der Siebenbürger Sachsen beginnt in Siebenbürgen und führt sie in die ganze Welt. Heute leben sie vor allem in sechs Ländern: in Deutschland, Rumänien, Österreich, der Schweiz, den USA und Kanada. Eine geringe Anzahl von ihnen lebt zudem in einer Vielzahl weiterer Länder. Dies verdeutlicht, dass die sieben Burgen in den Logos oder Wappen weiterhin ihre Berechtigung haben.

Auch das religiöse Band hat seine prägende Bedeutung verloren. Die Migrationsbewegungen des 20. Jahrhunderts haben auch zu einer Veränderung der Bedeutung der Sprache als einigendes Band dieser Gemeinschaft geführt. Einerseits wird der Dialekt von immer weniger Nachkommen gesprochen, andererseits ist teilweise sogar das Verständnis desselben verloren gegangen. Die Siebenbürger Sachsen, die in den USA und Kanada teilweise schon seit Ende des 19. Jahrhunderts leben, verwenden als Erstsprache das Englische, verstehen nur ansatzweise Deutsch, die allerwenigsten den siebenbürgisch-sächsischen Dialekt. In den deutschen Schulen in Rumänien lernen teilweise über 90 Prozent der Schüler, deren Eltern beide einer anderen, in der Regel der rumänischen Nationalität angehören. Ein nicht unerheblicher Anteil dieser Schüler zeigt ein ausgeprägtes Interesse am siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbe und ist bereit, sich dieses anzueignen und es weiterzuentwickeln. Daher wird dieser Artikel auch in einer englischen und einer rumänischen Version veröffentlicht.

Das siebenbürgisch-sächsische Nachbarschafts- und Vereinswesen konnte nicht nur in Rumänien, sondern vor allem auch in den neuen Siedlungsländern teilweise gerettet, wieder aufgebaut oder neu etabliert werden. Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts ist die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen keine feste Burg mehr, sondern ein offener Club, in dem jeder, der sich für das siebenbürgisch-sächsische Kulturerbe interessiert oder Mitglied in einem der vielen Vereine ist, mitmachen und dazugehören kann.

Johann Lauer

(Fortsetzung dieses Artikels unter www.siebenbuerger.de/go/25098A)

Eine PDF-Version dieses Artikels zum bequemen Ausdruck (33 DIN A4 Seiten) gibt es hier: siebenbuergersachsen.de/generative-ki-sachsen.pdf.

Schlagwörter: Künstliche Intelligenz, Kulturerbe, Digitalisierung, Internet

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