6. Juni 2024

Verpflichtet zum Zusammenleben: "Siebenbürger und Ungarn in Siebenbürgen"

„Wir haben offensichtlich einen empfindlichen Nerv getroffen“, stellt Generalkonsul Gergö Szilagyi vom Generalkonsulat von Ungarn in Düsseldorf fest, mit Blick auf die mehr als 100 Teilnehmer, die am 27. April aus ganz Nordrhein-Westfalen zu der Vortragsveranstaltung „Sachsen und Ungarn in Siebenbürgen“ ins Gerhart-Hauptmann-Haus nach Düsseldorf gekommen sind.
Generalkonsul Gergö Szilagyi; hinten, von links: ...
Generalkonsul Gergö Szilagyi; hinten, von links: Horst K. Dengel, Dr. Erwin Jikeli, Dr. Janos Szabolcs Foto: Noemi Kuti
Als Hauptvortragender wurde Dr. Janos Szabolcs von der Universität Partium aus Großwardein (Oradea) eingeladen, und für die Podiumsdiskussion als Vertreter der Siebenbürger Sachsen, Dr. Erwin Jikeli.

In seinem Grußwort präsentiert Generalkonsul Szilagyi das Großfürstentum Siebenbürgen als eine über Jahrhunderte bestehende multiethnische Region, die von Deutschen, Rumänen, Ungarn, Juden, Serben, Griechen, Armeniern und weiteren Völkern bewohnt wurde und wo die Wechselwirkung der Kulturen als alltägliche Erfahrung galt. Mittendrin die Sachsen und die Ungarn. Ihre lange gemeinsame Geschichte, der intensive kulturelle Austausch, die stetige Zusammenarbeit auf unterschiedlichen Gebieten, nicht zuletzt aber auch ausgetragene Konflikte und Kämpfe, verbinden bis heute Sachsen und Ungarn und können als Beispiel für die Kohabitation im heutigen Europa dienen. Der Generalkonsul lobt die gute Zusammenarbeit mit der Kreisgruppe Düsseldorf und dem Gerhart-Hauptmann Haus-bei der Vorbereitung der Veranstaltung und hofft auf weitere gemeinsame Veranstaltungen in der Zukunft.

Der Vorsitzende der Kreisgruppe Düsseldorf, Horst K. Dengel, der die Veranstaltung moderierte, schließt sich den Grußworten des Generalkonsuls an und definiert die Siebenbürger Sachsen in Raum und Zeit. Den Sinn der Veranstaltung verbindet er mit der Aussage von Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl in einer seiner Reden im Bundestag: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten.“ Ein kurzer Blick in die Geschichte Rumäniens nach 1945 macht deutlich, dass das kommunistische Regime den Sachsen und Ungarn Schulen mit eigener Unterrichtssprache, weitgehende Religionsfreiheit und spezifische zensierte Kulturtätigkeiten zugestanden hat, ihnen aber die Kenntnis der eigenen Geschichte weitestgehend vorenthielt. Insofern könne die Veranstaltung gleichermaßen den Bereichen Nachholbedarf, Aufarbeitung und Information zugeordnet werden. Bei der Überleitung zum Vortrag von Dr. Janosch stellt Dengel fest, dass es die Siebenbürger Sachsen in der historisch bekannten Form ohne die Ungarn nicht gegeben hätte und die Kohabitation zwischen Sachsen und Ungarn sich auf zwei Ebenen abgespielt habe: auf der einen Seite die Hoheits- bzw. Verwaltungsebene und auf der anderen die bürgerliche.

Dr. Janos Szabolcs geht in seinem Vortrag zunächst detailliert auf die Geschichte Siebenbürgens ein, um danach den kulturellen bzw. literarischen Aspekt zu vertiefen. Er hebt die kennzeichnenden Ereignisse aus den verschiedenen historischen Perioden hervor. Mit Erlass des Goldenen Freibriefes durch König Andreas II. 1224 wurde der Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen mehr oder weniger der Status eines Staates im Staat zugebilligt. Selbst wenn dieser Unabhängigkeitsstatus dem ungarischen Adel ein Dorn im Auge war, konnten die Sachsen ihre Privilegien bis 1876 behalten. Während der osmanischen Herrschaft bilden die Siebenbürger Sachsen einen der drei Stände des Staates, beteiligen sich an der Fürstenwahl, der Gesetzgebung (sogar mit Vetorecht) und der Landesverteidigung. Nach der Besetzung Siebenbürgens anerkennt der habsburgische Kaiser Leopold I. den Sonderstatus Siebenbürgens, die Vorrechte seiner Stände sowie die Religionsfreiheit. Die europaweiten Unruhen von 1848 erfassen auch Siebenbürgen und Ungarn. Mit dem österreich-ungarischen Ausgleich von 1867 wird Siebenbürgen Teil der ungarischen Reichshälfte der Doppelmonarchie. Es beginnt eine intensive Magyarisierungspolitik der ungarischen Verwaltung, die in der Aufhebung der Sonderrechte für die Sachsen und Szekler 1876 gipfelte. Dies führte dazu, dass die Sachsen nach dem Ersten Weltkrieg für den Anschluss Siebenbürgens an Rumänien votierten, in der Hoffnung, die aberkannten Privilegien wieder zurückzubekommen. Dies geschah bekanntermaßen nicht, jedoch durften sich die Sachsen zwischen den Kriegen weitgehend unbehelligt entfalten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Rechte der Sachsen und der Ungarn durch die kommunistischen Machthaber eingeschränkt. In ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der kommunistischen Ideologie rückten Sachsen und Ungarn bis zum Zusammenbruch des Systems 1989 noch näher zusammen. Parallel zu den Verbindungen auf Verwaltungsebene kann das Leben der sächsischen und ungarischen Bürger als osmotisch bezeichnet werden. Es war geprägt durch Geben und Nehmen und hat zu gemeinsamen Werten geführt, was übrigens weitgehend auch für das Zusammenleben mit anderen Nationalitäten gilt. Auf kultureller Ebene hebt Dr. Janos in seinem geschichtlichen Rückblick einzelne bedeutende Persönlichkeiten der Sachsen und Ungarn, u.a. Johannes Honterus und den ersten Reformator aus Klausenburg, Caspar Heldt, und deren Wirkung hervor. Im „langen“ 18. Jahrhundert (1711-1830) gab es in der deutschsprachigen Literatur- und Kultur­geschichtsschreibung erhebliche Fortschritte. Zu dieser Zeit fand der ­Aufbruch der aufklärerischen Gedankenwelt und Kultur statt. Dazu zählt der aufgeklärte Absolutismus von Franz Joseph II. wie auch die Gründung der Hermannstädter Freimaurerloge durch Samuel von Brukenthal, eine der wenigen Vereinigungen in Siebenbürgen, die ethnische, ständische und konfessionelle Schranken überwand. Mit dem kulturellen Fortschritt nahm auch die interethnische Zusammenarbeit zu. Die Siebenbürgisch Ungarische Gesellschaft zur Sprachpflege mit ihren fast ausschließlich ungarischen Mitgliedern pflegte auch Beziehungen zu Sachsen und Rumänen. In diese Zeit fällt auch die Gründung der deutschen Theater in Hermannstadt, Kronstadt und Temeswar. Unter der Federführung markanter Persönlichkeiten entstanden die ersten Initiativen für eine deutsche Presse. Als Folge der starken Zentralisierungs- und Magyarisierungstendenzen Ungarns vor dem 1. Weltkrieg entstand nach 1919 die Idee des Transilvanismus, die eine kollektive regionale Identität, spezifische Differenz zu den Kernländern Rumänien und Ungarn, einen kulturellen Pluralismus und ein unabhängiges Siebenbürgen nach dem Muster der kantonalen Schweiz propagierte. Eine langfristig angelegte Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Sprachgruppen wurde durch die Zusammenarbeit der deutschen Zeitschrift Klingsor und der ungarischen Pasztortüz gestartet. Nach dem 2. Weltkrieg wird die kulturelle Tätigkeit der Sachsen und Ungarn zwar zugelassen, aber einer strengen Zensur unterworfen. Bücher konnten nur über den Kriterion Verlag herausgegeben werden und die Zeitungen bekamen aufoktroyierte Namen.

Zu Beginn der Podiumsdiskussion bat der Moderator Dr. Erwin Jikeli sich als Vertreter der Siebenbürger Sachsen zu dem Vortrag von Dr. Janos zu positionieren. Das von Dr. Jikeli initiierte Zwiegespräch führte in den einzeln angesprochenen Bereichen zu Klarstellungen. So wurde deutlich, dass ein einvernehmliches Verhältnis der drei herrschenden Stände: ungarischer Adel, Szekler und Siebenbürger Sachsen die politische und wirtschaftliche Macht in Siebenbürgen sicherstellte. Dazu wird angenommen, dass die Habsburger nach Besetzung Siebenbürgens gezielt die Position der Deutschen zum Nachteil der Ungarn stärkten. Letztendlich führte die Unzufriedenheit der Ungarn in der Habsburgischen Monarchie zu dem Freiheitskampf in den Revolutionsjahren 1848/1949 und den bekannten Folgen. Die Rumänisierung der neuen Gebiete war in der Zwischenkriegszeit ein wichtiges Ziel der Schulpolitik. Allerdings konnten Sachsen und Ungarn ihre Schulen mit deutscher bzw. ungarischer Unterrichtssprache behalten. Die Zukunft der Ungarn in Siebenbürgen, deren Zahl nach 1989 von über zwei Millionen auf rund eine Million geschrumpft ist, sieht Dr. Janos hauptsächlich durch ökonomische Faktoren bestimmt. Bezüglich aktuell nationalistischer Tendenzen bei den Ungarn in Siebenbürgen stellt Generalkonsul Szilagyi klar, dass derartige Denk- und Verhaltensweisen im heutigen vereinten Europa keinen Platz mehr haben. Dengel schloss die Podiumsdiskussion mit Dank an alle Beteiligte und lud die Teilnehmer zur Besichtigung der siebenbürgischen Ausstellung im Foyer und zum Imbiss ein. Die angeregten Diskussionen beim Imbiss und das Feedback einzelner Teilnehmer zeugten von einer gelungenen Veranstaltung.

Anna Dengel

Schlagwörter: Ungarn, Siebenbürger Sachsen, Düsseldorf

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