15. Dezember 2020
Die Alzner und ihre Kirche: Herausforderungen nach dem Einsturz eines Teils des Kirchengewölbes
Wer von Hermannstadt ins Harbachstädtchen Agnetheln mit dem Auto oder Fahrrad unterwegs ist, den führt die Straße durch den Ort Alzen, der einem im unteren Harbachtal als die räumlich größte Siedlung entgegentritt. Die Durchfahrtstraße durchschneidet die Gemeinde in ihrer parallel zum Lauf des Harbachs ausgerichteten ganzen Länge und führt im Anschluss der Leschkircher Straße durch die Langgasse und den rumänischen Ortsteil „In den Hirten“. Links und rechts säumen zum Teil aufwändig renovierte Häuser die Fahrbahn, es findet sich im ganzen Ort keine einzige Bauruine, obwohl auch hier, wie andernorts, die meisten Siebenbürger Sachsen nach 1990 das Dorf in Richtung Deutschland verlassen haben.
![Blick auf das Deckengewölbe der evangelischen ...](/bild/artikel/normal/2020/einsturz_der_decke_in_der_kirche_alzen_2020_.jpg)
Dass keine der vielen alten, stattlichen Steinhäuser in Alzen mehr stehen, wie sie Martin Schlichting auf seiner Reise durch Siebenbürgen im Winter des Jahres 1853 zeichnete und wie sie Pfarrer Heinrich Schuster in seinem Roman „Martin Alzner“ sprachlich heraufbeschwor, das hat etwas mit dem hiesigen Menschenschlag zu tun. Die Alzner, ernst und traditionsbewahrend in ihrer Lebensführung, waren zugleich auf wirtschaftlichem Gebiete dem Fortschritt stets aufgeschlossen. „Die besten Böden“ im unteren Harbachtal, eine in Jahrhunderten gewachsene und erfolgreich betriebene Rinder- und Pferdezucht, eine oft exzessive „Schaffigkeit“ bestärkten sie in ihrem örtlichen Selbstverständnis eines wohlhabenden Dorfes; wobei es galt, diesen Wohlstand nach außen zu zeigen: die besten landwirtschaftlichen Erträge, das schönste Vieh, eine gute Pfründe für angesehene Pfarrergeschlechter, die neuesten Häuser, die teuersten Stoffe für die Tracht. Wohl war es nicht immer leicht, diesem Selbstbild zu genügen, vor allem nicht nach 1945.
Nach der Aussiedlung vieler Alzner Familien nach Deutschland aktivierte sich dieses örtliche Selbstbild in einem mustergültigen Engagement für das heimatliche Dorf, den Erhalt seiner Häuser und des denkmalgeschützten Erbes auf dem Kirchberg. Schon seit Jahrzehnten bringen die Sommer das sächsische Leben in den Ort zurück. Die jährliche Rückkehr der Ausgewanderten ist zum Ritual geworden. Es galt auch für die Generation der Kinder und Enkel, die „alte Heimat“ und Siebenbürgen als neue Bedeutungsräume zu entdecken. Hier lernen sich die in Deutschland oft weit verstreuten jungen Familien mit Alzner Wurzeln kennen. Das Dorf ist für Jung und Alt ein realistischer Raum, dessen Wirklichkeit durch den Weggang der Eltern und Großeltern und zeitweiliger Urlaubswiederkehr ihn zugleich zum Erzählraum umgewandelt hat, aufgelöst in Geschichte(n) und Erinnerung.
![Pech hatten die Alzener schon 1999, als man ihnen ...](/bild/artikel/normal/2020/taufbeckenaufsatz-alzen-1725-brb-gf-aufgenommen-1989-img_20201126_0002-2-_02_4c.jpg)
Im letzten Vierteljahrhundert hat hier die Alzner Heimatortsgemeinschaft mit der Kirchengemeinde in Alzen mit ausschließlich eigenen Mitteln viel geschafft: Zurückgreifend auf ein Restaurierungsprojekt der Behörden von 1975 zur Renovierung des mittelalterlichen Turms im südlichen Bering, wurde das Projekt unter fachlicher Anleitung und denkmalpflegerischer Aufsicht in den 1990er Jahren in Angriff genommen und das alte Gemäuer von den Fundamenten bis zum Dach hinauf saniert. Es folgten die Ausmalung des Gotteshauses, die Renovierung und Neueinkleidung des Kirchturmdaches, Reparaturen an der Ringmauer. Mit der Sanierung der Dachstühle und der Neueindeckung aller drei noch vorhandenen Wehrtürme in der Folgezeit war nur der Auftakt für ein weiteres Großprojekt gegeben: 2017 nahm man mit vereinten Kräften das Projekt der Reparatur und Neueindeckung des gesamten Kirchendachs in Angriff – alte Ziegel und neue, handgeschlagene wurden organisiert. Die Restaurierung der im Chor entdeckten Fresken aus vorreformatorischer Zeit und die Herrichtung der alten Totengedenkfahnen ergänzten den selbstgestellten, umfangreichen Aufgabenbereich.
![Bischof D. Dr. Albert Klein als Gastprediger in ...](/bild/artikel/normal/2020/alzen_ostersonntag_1989_mit_bischof_albert_klein.jpg)
Bewahren und Neuanfangen, diese Grundsätze, die das kollektive Handeln und das gemeinschaftliche Selbstverständnis in Alzen seit Jahrhunderten prägten, sind mit dem Einsturz eines Teils des Gewölbes im Mittelschiff der Kirche zwischen dem 3. und 4. November 2020 ganz plötzlich wieder akut geworden. Die emotionale Erschütterung, die sich über die Alzner Kommunität in weite Kreise hinaus artikuliert hat und einen den tröstenden Beistand und die Hilfsbereitschaft von vielen Seiten erleben lässt und dabei immer noch weite Kreise zieht, sie wird nicht so schnell abklingen. Die historische, kulturelle und spirituelle Kraft, die dem architektonischen Gefüge am Alzner Kirchberg im Laufe der Jahrhunderte zugewachsen ist und hier zum Symbol von örtlicher Heimat im großen europäischen Gefüge geronnen ist – sie zwingt zu moralischer Verantwortung und wieder einmal zum konkreten Handeln.
Ein kurzer Rückblick in die Geschichte wirft Streiflichter auf die materielle wie geistige Gewichtung, die der Kirche und der Burg im Laufe der Jahrhunderte zugewachsen ist und die das kulturelle Gedächtnis dieser Gemeinschaft verkörpert als ein unverwechselbar Eigenes, als prägnantes, augenscheinliches Symbol- und Identitätsbild der Harbachgemeinde, das von den Alznern in die Welt hinaus mitgenommen wird.
Alzen gehört zu den sächsischen Primärsiedlungen im Alten Land, das historische Gedächtnis greift weit zurück, die Legenden gehen noch vor die dokumentarisch überlieferte Erwähnung 1291 bis hin zu dem Gräuel des überstandenen Mongolensturms von 1241 hinaus. Dieser ist in den Flurnamen überkommen und wird im Zusammenhang mit Eingriffen in die Landschaft heraufbeschworen: „Die Grube beginnt unmittelbar an der westlichen Befestigung, die den äußeren Mauerring der geräumigen Kirchenburg bildet. ‚Tatarenkaule‘ heißt die Grube im Volksmunde, und jedes Kind im Dorfe weiß zu erzählen, wie einst vor langer, langer Zeit, so lange, dass den Kindern mehr noch vor dieser grauen Vorzeit graulte als von dem schrecklichen Ereignis, von dem sie berichtete, wie damals ein Tatarenhaufe auch ihr Dorf überfallen und niedergebrannt hätte. Die Kirchenburg [sic] vermochte der wilde Haufen nicht einzunehmen. Da hatte er als letztes Mittel die Untergrabung der Mauer auf der Westseite versucht.“ (Heinrich Schuster)
![Konfirmandinnen bei der Feier des ...](/bild/artikel/normal/2020/konfirmandinnen_1989-in-alzen-img_20201126_0003_03.jpg)
Die ursprüngliche Kirche, eine der Heiligen Maria geweihte, dreischiffige romanische Basilika des 13. Jahrhunderts, ist nur noch im Kern erhalten, die spätgotischen Umbauten des 15. und 16. Jahrhunderts prägen in der Essenz das Aussehen der Kirche bis heute, wobei vor allem der verlängerte Chor mit seinem schönen, polygonalen Abschluss diesen Eindruck vermittelt. Der doppelte, beinahe kreisrunde Bering, ursprünglich mit einem Wehrgang, der einst auf massiven Holzböcken gelagert war, spricht ebenfalls die Sprache der sehr frühen Anfänge, wobei die Sakristei an der Nordseite des Chors mit ihrem schönen Maßwerk die gotische Weiterentwicklung des Bauensembles dokumentierte. Sie ist in späteren Zeiten abgetragen worden. In gotischer Zeit wurde das Mittelschiff mit einem Netzgewölbe überspannt. Bis in die Gegenwart ist das Tonnengewölbe mit Stichkappen erhalten. Es zeigt noch die Spuren der ehemals vorhandenen Rippen. Heute liegt es nun in Teilen am Boden.
Auch der Hauch der ganz großen Geschichte streifte den Ort. Sie ist hier verbunden mit den großen Gräfengeschlechtern der Gerendi, deren Vertreter die Würde des Königsrichteramtes im Leschkircher Stuhl innehatten. Ihre Vorgänger verhandelten mit Königen um die Bestätigung des Andreanums (1387). In der Gefolgschaft von Kaiser Sigismund von Luxemburg beim Konzil in Konstanz (1417) war ein Alzner Gräf mit dabei. Ein weiterer Hiesiger, Johannes von Alzen, stieg am Beginn des 16. Jahrhunderts zu hohem kirchlichen Amt auf. Die Grabplatte von Despina Paleolog (1575), dem in Alzen verstorbenen Töchterchen von Jakob und Despina, gehört mit in diesen Kontext europäisch geweiteter Vergangenheit.
Auch die folgenden Jahrhunderte haben an und in diesem Gotteshaus ihre Spuren hinterlassen. Die Kreuzgratgewölbe der Seitenschiffe haben einem barocken Gewölbe mit Busung Platz gemacht. Aus der Zeit um 1770 stammt die mit zehn Registern ausgestattete Orgel vom Hermannstädter Meister Johannes Hahn (1712-1783), dessen Prospekt Elemente barocker Schnitzerei mit klassizistischem Stilempfinden in ästhetischer Harmonie vereinte. Hundert Jahre nach Hahn reparierte und erweiterte sie der aus Wien nach Siebenbürgen zugewanderte Wilhelm Hörbiger (1839-1890). Dieses wertvolle Stück siebenbürgischer Musikgeschichte ist durch den Gewölbeeinsturz von der Inneneinrichtung wohl am stärksten beschädigt worden, seine Restaurierung wird zur Herausforderung. Eine späte, dafür umfangreiche Umgestaltung der Kirche betraf im 19. Jahrhundert, neben der Errichtung eines neugotischen Glockenturms, der die Kirchensilhouette seit 1856/58 bestimmt, die Inneneinrichtung: Der Altar und das Chorgestühl, der Kanzelkorb, das Gestühl im Mittelschiff und die farbige Auszier der flachen Chordecke sprechen die Sprache der Neugotik. Der zeitlich gewaltige Spannungsbogen in der Ausstattung der Kirche war vom Gegenüber der gotischen Erztaufe von 1404 aus der Werkstatt des sagenumworbenen Meisters Leonardus und der hölzernen Reißbrettgotik im Altar bestimmt. Es steht symbolisch für die vielen Neuerungen, die dieses Gotteshaus im Laufe der Jahrhunderte erfahren hat, und den Willen zur Repräsentation vieler Generationen im Ort, deren Ausdruck sich stets aufs Neue im Zeitgeschmack der jeweiligen Zeit zu artikulieren versuchte.
In den 1990er Jahren wurde das bronzene Taufbecken gestohlen, die Kronleuchter aus der Zeit um 1900 fielen ebenfalls den Dieben in die Hände. Der umfangreiche Kirchenschatz an Vasa sacra mit Stücken, die bis ins späte Mittelalter zurückreichen, wurde in die Obhut der Landeskirche gegeben.
Dem Gefühl akuter Gefährdung ihres Identitätssymbols setzten die vielen Menschen, deren Wurzeln in Alzen liegen (und die seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nie viel mehr als 700 Personen waren), den tatkräftigen Einsatz für die Bauten auf dem Kirchberg entgegen. Sie fanden in ihrer Heimatortsgemeinschaft den idealen organisatorischen Rahmen hierfür.
![Bedrückte Stimmung nach dem Ostergottesdienst in ...](/bild/artikel/normal/2020/ostersonntag_1989_bischof_klein.jpg)
Irmgard Sedler
Spendenaufruf für Alzen
In der evangelischen Kirche in Alzen im Harbachtal ist zwischen dem 3. und 4. November 2020 im Bereich des mittleren Schiffes fast das gesamte Gewölbe eingestürzt. Die Orgel, Sitzbänke, Teile der Seitenemporen und mehrere Bruderschaftsfahnen wurden stark beschädigt. Die Heimatortsgemeinschaft Alzen ruft zu Spenden auf, um das Kirchenschiff wieder instandzusetzen (siehe Artikel in der SbZ Online vom 20. November 2020): „Für die Finanzierung der enormen Schäden am Gewölbe, der Empore im Schiff und der Orgel benötigen wir jegliche Unterstützung. Bitte geben Sie bei Spenden als Verwendungszweck ,Kirche Alzen‘ an. Sie können das folgende Spendenkonto nutzen: HOG Alzen, IBAN: DE37 7625 0000 0040 2743 59, BIC: BYLADEM1SFU, Sparkasse Fürth.“![Das Mittelschiff der evangelischen Kirche in ...](/bild/artikel/normal/2020/alzen_hofmann.jpg)
Schlagwörter: Kirche, Alzen, Spendenaufruf, Irmgard Sedler, HOG
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