22. Juni 2020
Spurensuche: Ein Trachtenbild und seine Geheimnisse
Eine brünette junge Frau in Hermannstädter Bürgertracht, von einnehmender Präsenz, stolz, standesbewusst und in anmutiger Haltung, fast wie das berühmte Vorbild Leonardos. Das nahezu lebensgroße Porträt vor der Kulisse ihrer Heimatstadt mit den schneebedeckten Karpaten im Hintergrund hätte die Besucher der vielbeachteten Landler-Ausstellung von 2017 „Das Wort sie sollen lassen stahn“ des Siebenbürgischen Museums sicherlich angesprochen – es zeigt Erika Rieger, verh. Schöpp (1908-2009), die ältere Schwester von Inge-Maya Rieger. Doch irgendwie hatte man das Porträt vergessen; es erschien erst im Ausstellungskatalog, der wiederum mit Verzögerung herauskam (2019). Das Gemälde aus Familienbesitz war dem Siebenbürgischen Museum 2015 als Schenkung übergeben worden – auf Initiative der jüngst verstorbenen Inge-Maya Rieger.
![Ernst Honigberger: Erika Rieger-Schöpp in ...](/bild/artikel/normal/2020/ernst-honigberger-brb-gf-erika-rieger_schoepp-1934-copyright-siebenbuergisches-museum-inv_16898_rieger_96_4c.jpg)
Zwangsläufig änderte sich ihr Lebensstil, als sie am 27. Juni 1931 ihre große Liebe, den Rechtsanwalt, nachmaligen Volksgruppenpolitiker und stellvertretenden Landeskirchenkurator Dr. Hermanns Schöpp (1902-1944) heiratete. Bereits wenige Wochen später betraute man sie – die eigentlich nie Bürgertracht trug – mit der ehrenvollen Aufgabe, bei der Trauerfeier für den letzten Sachsencomes D. Friedrich Walbaum im Namen der Frauen und Mädchen in sächsischer Volkstracht die kleinen grünen Kränze, die die Frauen vorher getragen hatten, in das Grab zu werfen mit den Worten „Dem Sachsencomes letzten Gruß der sächsischen Frauen“ (Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt vom 13.08.1931).
![Mit Bubikopf, Charme und Maschkura: Erika Rieger ...](/bild/artikel/normal/2020/erika-rieger-in-paris-1927-brb-gf.jpg)
Wir horchten auf, als Inge-Maya erwähnte, dass dieses Porträt Teil eines Triptychons gewesen sei: Ursprünglich hätten dazu noch eine Rumänin vor einer orthodoxen Kirche und eine Szeklerin mit dem siebenbürgischen Hochland im Hintergrund gehört. Ihre Angaben fand ich bestätigt in der Besprechung einer Ausstellung, die im Oktober 1934 in Hermannstadt stattfand. Aus dem Beitrag von Egon Coulin erfahren wir auch den Titel des Gemäldes: „Eine sehr schöne und wertvolle Arbeit ist das Triptychon ,Siebenbürgen‘, in welchem der Künstler einen Hymnus auf die Heimat durch drei in Nationaltracht festgehaltene Frauengestalten ausklingen lässt.“ (SDT Nr. 18448 v. 13.10.1934). Hatte hier ein heimatverbundener Maler das Siebenbürgenlied gemalt, so wie es ihm in Frauengestalt – um im Bild zu bleiben – vorschwebte? Dazu scheint es zu streng-programmatisch und letzten Endes auch eher untypisch für Honigbergers sonstigen Bildthemen.
„Unproblematische Frauengestalten“
Die Ausstellung im Glaspavillon des Eislaufvereins, es war seine erste in Hermannstadt, hatte kein Geringerer als Kunsthistoriker Dr. Julius Bielz in Anwesenheit von Bischof Glondys und vielen prominenten Gästen eröffnet, selbst der greise Altmeister der sächsischen Malerei Friedrich Mieß aus Kronstadt war gekommen – wenige Monate vor seinem Tod. Auch Bielz hob Honigbergers „gesunde, erdverbundene und unproblematische“ Frauengestalten hervor; ihm zufolge hatte sich gerade in dessen jüngster Arbeit sein Drängen nach Monumentalität verwirklicht, „wo er seine ihm so eng verbundene siebenbürgische Heimat in drei rassigen Repräsentantinnen seiner Bewohner, umschlungen von dem Eintrachtband seiner schwellenden Landschaft und goldreifen Felder darstellt.“ (SDT Nr. 18444 v. 9.10.1934)![Ernst Honigberger, aufgenommen von Ilona (Ilus) ...](/bild/artikel/normal/2020/enst-honigberger-foto-von-huebner-ilus-um-1940-slg-konrad-klein.jpg)
![Sächsische Maiden, blauäugig und blond: Karl ...](/bild/artikel/normal/2020/karl-huebner-2-frauen-in-saechsischer-tracht-1943-brb-gf-10_80.jpg)
Höchst aufschlussreich ist ein Vergleich von Honigbergers „Sächsin“ mit einem ähnlichen Motiv bei Karl Hübner: zwei junge Kronstädterinnen beim Kirchgang in Tracht, ebenfalls vor der Silhouette ihrer Heimatstadt – weichgespülte Neue Sachlichkeit, in seiner verklärten Lieblichkeit wirkt das Gemälde fast schon kitschverdächtig. Das 1943 entstandene Ölbild hängt neuerdings im Bukarester Museum für Zeitgenössische Kunst (Muzeul de Artă Recentă).
Wandbilder mit volkstümlichen Szenen: übertüncht und vergessen
Dass die Leitung der Rieger’schen Maschinenfabrik neben ihrer sozialen Gesinnung auch Kunstverständnis besaß, bescheinigte ihr Klingsor-Schriftleiter Harald Krasser, als man daran ging, den Speisesaal der Fabrik mit einem Fries großfiguriger Wandmalerei zu schmücken. Hierfür hatte man den (Wand-)Maler Dolf Hienz, den Vater der Malerin Katharina Zipser, gewonnen. Zum 70. Firmenjubiläum waren zwei der vier Jahreszeitenmotive fertig: tanzende sächsische und rumänische Bauern mit ihren Adjuvanten und Zigeunermusikanten, Jagdszenen, Weinlese u.a.m. Leider wurden die Wandgemälde im Kommunismus übertüncht (Klingsor, Heft 9/1938, dort auch Abbildungen davon). Bereits bei der Hermannstädter Mustermesse 1937 hatte man den Erntebaum und die gesamte optisch-reklametechnische Präsentation von Hienz gestalten lassen (SDT v. 29.07.1937). Ein hübscher Zufall, dass der Künstler Anfang der 1920er Jahre als Student der Berliner Kunstakademie ausgerechnet bei Ernst Honigberger wohnte und dieser ihm auch Aufträge verschaffte. Vielleicht machte diese Art der Fabrik-Malerei sogar in Kronstadt Schule, wo die Eingangshalle zur Kantine der Scherg-Fabrik 1939 mit einem Wandfresko von Hans Eder mit einem Hirtenidyll vor der stilisierten Kulisse des Königstein geschmückt wurde.Die Rieger-Werke produzierten weit mehr als dreisprachige Kanaldeckel. Sie sind heute das größte Industriedenkmal in Hermannstadt und wurden 2014 zu einem Denkmal von regionaler Bedeutung erklärt (warum eigentlich nicht Kategorie A, d.h. von nationaler Bedeutung?). Das Drei-Frauen-Triptychon ist verloren (ob davon noch ein Foto existiert?), die Wandmalereien könnten vielleicht in der seit Jahren stillgelegten Fabrikanlage freigelegt werden.
![Dr.-Ing. Hanspaul Rieger mit dem Verfasser dieser ...](/bild/artikel/normal/2020/hanspaul-rieger-u-konrad-klein-1996-foto-v-meta-rieger_4c.jpg)
Zur „Talentschmiede“ des Künstlerehepaares Ernst und Erna Honigberger (erste Geigenlehrerin von Anne-Sophie Mutter) erschien vor drei Jahren eine materialreiche Dokumentation: Förderkreis Stadtmuseum Wehr e.V. (Hrsg.): Honigberger. Musikschule – Kunstschule – Werke. Wehr 2017 (272 Seiten, 286 Abbildungen, 27,00 Euro).
Konrad Klein
Schlagwörter: Maler, Honigberger, Rieger, Tracht, Siebenbürgisches Museum, Gundelsheim, Hermannstadt
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