16. Juni 2024

75 Jahre Verband der Siebenbürger Sachsen: Dr. Paul Jürgen Porrs Festrede beim Heimattag

Die Rede zum Festakt „75 Jahre Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland“ beim Heimattag am 18. Mai in der St. Paulskirche in Dinkelsbühl hielt Dr. Paul Jürgen Porr, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien. Er beleuchtete die wichtigsten Entwicklungen aus der Geschichte des Verbandes und ging auch auf dessen Beziehungen zum Siebenbürgenforum ein, die – nach anfänglicher Zurückhaltung – heute hervorragend sind. Mit Blick auf das Motto des Heimattages gab Porr zu bedenken: „In einer von Individualismus und Egoismus geprägten Welt ist dieser Gemeinschaftssinn in Gefahr, vor allem weil es kaum noch kompakte siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaften gibt“. Umso wichtiger sei es, den Zusammenhalt nicht nur auf Ebene der weltweiten Föderation der Siebenbürger Sachsen, sondern vor allem an der Basis – hüben wie drüben – zu pflegen. Porrs Rede wird im Folgenden ungekürzt wiedergegeben.
Dr. Paul Jürgen Porr hielt die Festrede zum ...
Dr. Paul Jürgen Porr hielt die Festrede zum Verbandsjubiläum in der St. Paulskirche. Foto: Christian Schoger
Liebe Ehrengäste, liebe Landsleute von nah und fern, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Es ist vielleicht etwas ungewöhnlich, dass ein Nichtmitglied in einem Verein, das übrigens nicht mal in Deutschland lebt, eine Festrede anlässlich eines Jubiläums dieses Vereins hält. Der Festredner ist aber Siebenbürger Sachse und ich deute diese Ehre, die mir heute zukommt und für die ich mich ganz herzlich bedanke, als Symbol – ein Symbol, das Ihre heutige Feier prägt: 75 Jahre Gemeinschaft.

Ich möchte eingangs einiges über den geschichtlichen Rahmen sagen, in dem der Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland gegründet wurde.

Januar 1945 war sicher das dunkelste Kapitel in der neueren Geschichte der Siebenbürger Sachsen, als praktisch die gesamte arbeitsfähige Bevölkerung, Frauen und Männer, aus Stadt und Land, zu schwerster Zwangsarbeit in die UdSSR verschleppt wurde. Für die meisten dauerte das 4-5 Jahre. Inzwischen wurde in Rumänien der Kommunismus installiert, alles wurde enteignet, die eigene Apotheke in der Stadt, das eigene Vieh am Dorf, ja sogar im eigenen Haus musste die sächsische Familie in der Sommerküche leben, weil im Haus eine fremde Familie einquartiert wurde. Das erfuhren unsere Sachsen auch im Kohlebergwerk im Donezkbecken, und als sie endlich entlassen wurden, kamen viele deshalb nicht nach Siebenbürgen zurück, sondern zogen nach Deutschland, obwohl 1949 auch hier noch kein Wirtschaftswunder blühte, aber es gab wenigstens eine Hoffnung – dass es besser wird. Um diese Neuankömmlinge zu unterstützen und zu beraten, wurde am 26. Juni 1949 in München der „Verband der Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben in Deutschland“ unter dem Vorsitz von Fritz Heinz Reimesch aus Kronstadt gegründet. Link zum Video Festveranstaltung: 75 Jahre Verband der Siebenbürger Sachsen - Musik: Siebenbürgische Kantorei, 18. Mai 2024, St. Paulskirche in Dinkelsbühl Im Februar 1950 gründeten die Banater Schwaben ihren eigenen Verein, so dass es beim „Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V.“ blieb, der übrigens beim ersten Oktoberfest nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer eigenen Trachtengruppe dabei war.

Im Juni 1950 erschien die erste Ausgabe der Siebenbürgischen Zeitung, die zum geistigen Band aller Siebenbürger Sachsen in Deutschland wurde und auch heute alle Siebenbürger Sachsen weltweit anspricht.

Im selben Jahr, am 5. August 1950, wurde gemeinsam mit allen Vertriebenenverbänden in Stuttgart die „Charta der deutschen Heimatvertriebenen“ unterzeichnet, obwohl im eigentlichen Sinne aus Rumänien niemand vertrieben wurde.

Im Oktober fand in München die 800-Jahr-Feier zum Andenken an die Ansiedlung der Siebenbürger Sachsen in Siebenbürgen statt, an der sogar der damalige Bundespräsident Theodor Heuss teilnahm.

Ein Jahr später (1951) findet hier in Dinkelsbühl der erste Heimattag statt, der in zwei Jahren auch sein 75-jähriges Jubiläum feiern wird.

1952 wird in Rimsting am Chiemsee das erste siebenbürgisch-sächsische Altenheim errichtet.

1954 wird unter dem neuen Vorsitzenden Dr. Heinrich Zillich die „Union siebenbürgisch-sächsischer Verbände“ gegründet. Der Hauptzweck war, die Beschleunigung der Familienzusammenführung der getrennten Familien aus Deutschland und Rumänien.

Einige Jahre später (1957) übernimmt das Land Nordrhein-Westfalen die Patenschaft für die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, die bis heute anhält und Früchte trägt.

1958 wird in Berlin der „Bund der Vertriebenen“ gegründet, wobei die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen Gründungsmitglied ist.

1960 wird Schloss Horneck in Gundelsheim angekauft, das im Laufe der Jahre zum Altenheim und dem Heimathaus der Siebenbürger Sachsen mit allen heutigen Kultureinrichtungen ausgebaut wird.

1966 wird die Siedlung Drabenderhöhe eingeweiht, die Hochburg der Siebenbürger Sachsen in Deutschland.

Ein Jahr später wird in Dinkelsbühl die Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen errichtet.

Ebenfalls 1967 werden die diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem ersten kommunistischen Land – eben Rumänien – aufgenommen, wobei die Landsmannschaft diese Beziehungen von Anfang an tatkräftig unterstützt hat.

1968 wird der Siebenbürgisch-Sächsische Kulturpreis erstmals vergeben, ein Jahr später wird der Siebenbürgisch-Sächsische Kulturbeirat, der Vorgänger des Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrates e.V. (1982), gegründet.

1978 ist ein entscheidendes Jahr für die Siebenbürger Sachsen hüben wie drüben. In diesem Jahr wird ein Abkommen zwischen dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt und Nicolae Ceaușescu unterzeichnet, wobei die rumänische Seite sich verpflichtete, jährlich 11 000 Deutschen aus Rumänien die Ausreise in die Bundesrepublik zu gewähren, und die deutsche Seite sich verpflichtete, für jeden Auswanderer, je nach Ausbildung, eine stattliche Summe DM zu bezahlen. Damit begann eine konstante und kontinuierliche Familienzusammenführung, die bis Dezember 1989 von beiden Seiten strikt respektiert wurde. (Ein ähnliches Abkommen gab es mit Israel betreffend die Auswanderung der Juden aus Rumänien nach Israel). In Rumänien löste dieses Abkommen bzw. die Besuche der Verwandten aus Deutschland, einen fast allgemeinen Wunsch aus, auszuwandern. Man wollte wenigstens die sogenannte RU-Nummer, auch wenn man anschließend oft noch Jahre auf die Ausreise warten musste. Bei der Landsmannschaft hieß es: möglichst alle, möglichst bald nach Deutschland zu holen. Einige ganz wenige Stimmen, wie die von Prof. Dr. Paul Philippi, stellten sich dieser Tendenz entgegen, was auch zu Konflikten führte, die noch Jahre anhalten sollten. Laut Philippi ist der Platz der Siebenbürger Sachsen in der Heimat – also in Siebenbürgen. Gemäß diesem Credo kehrte er auch aus Heidelberg nach Hermannstadt zurück.

1983 wird die Föderation als weltweite Interessenvertretung der Siebenbürger Sachsen zwischen den Landsmannschaften aus Deutschland, Österreich, Kanada und den USA gegründet. Ihr erster Vorsitzender ist Dr. Wolfgang Bonfert.

1986 werden die Siebenbürgisch-Sächsische Jugend in Deutschland (SJD) als Gliederung der Landsmannschaft sowie das Sozialwerk unter ihrem ersten Vorsitzenden Willi Schiel gegründet.

Ende 1989 findet in Rumänien der Sturz Ceaușescus statt – ein einschneidendes Ereignis vor allem für die noch in der Heimat verbliebenen Landsleute. Jetzt durfte man, jetzt konnte man, also zog man nach „oben“, obwohl der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher mit dem Slogan „das Tor bleibt offen“ versuchte, die Gemüter zu beruhigen. Es war vergebens. Etwa 120000 Deutsche, davon etwa die Hälfte Siebenbürger Sachsen zogen in wenigen Monaten nach Deutschland und der Großteil davon wurden Mitglieder der Landsmannschaft.

Damals, bald nach Gründung des Forums, kam es auch zu ersten Kontakten. Eine hochkarätige Föderationsdelegation (Dr. Wolfgang Bonfert. Dr. Fritz Frank, Käthe Paulini u.a.) kam zuerst nach Klausenburg, wo wir ein sehr gutes Treffen hatten, an das die Delegationsmitglieder sich auch noch nach Jahren sehr gerne erinnerten. Umso kühler aber war der Empfang in Hermannstadt beim Siebenbürgen-Forum. Der Zweck der Reise war, das Siebenbürgen-Forum mit in die Föderation der Siebenbürger Sachsen weltweit aufzunehmen. Es kam leider nicht dazu, man einigte sich schließlich auf einen kläglichen Kompromiss: Das Siebenbürgen-Forum wurde beobachtendes Mitglied der Föderation, obwohl es diesen Begriff in keinem der beiden Vereinsstatuten gab. 1990 war auch das Jahr, in dem die gesamte Leitung des Forums zum Heimattag in Dinkelsbühl eingeladen wurde.

Im selben Jahr wird durch die Initiative der Landsmannschaft und des Sozialwerks und unter aktiver Mithilfe von Dipl.-Ing Michael Schmidt die „Saxonia“-Stiftung gegründet, die bis heute mit immer mehr und immer komplexeren Aufgaben bestens funktioniert. Die Hilfen des Sozialwerks für die in der Heimat verbliebenen Landsleute können so vor Ort effizient verteilt werden.

1993 ist wieder ein einschneidendes Jahr. Beim Heimattag in Kitchener in Kanada unterschreibt der damalige Vorsitzende des Siebenbürgen-Forums Prof. Dr. Hans Klein kurzerhand den Beitritt des Siebenbürgen-Forums zur Föderation, was ihm anschließend in Hermannstadt bei einigen Forumsvertretern genügend Kritik einbrachte.

Ein Jahr später übernahm ich das Amt von Hans Klein als Vorsitzender des Siebenbürgen-Forums und es begann eine stetige Arbeit des Zusammenfindens mit dem damaligen Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft Dipl.-Ing. Architekt Volker Dürr. Es mussten manchmal auch Strapazen in Kauf genommen werden, wie z.B. eine 13-stündige Autofahrt von Klausenburg nach München, um Willi Schiel beim Verbandstag die Honterusmedaille zu überreichen, und einen Tag später dieselbe 13-Stunden-Autofahrt zurück.

Das Klima wurde beiderseits immer besser, die manchmal hochschießenden Wogen geglättet, die Hardliner hier und dort fanden immer weniger Gehör. Symbolisch ist z.B. die Tatsache, dass ich beim mehrstündigen Besuch des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog am 17. Mai 1995 in Hermannstadt nicht die Gelegenheit hatte, mit ihm auch nur einige Worte zu wechseln, aber dafür einige Monate später, bei dessen Besuch am 2. November 1995 in Drabenderhöhe durch Vermittlung von Volker Dürr die Gelegenheit zu einem ausführlichen Gespräch.

Es folgen viele Besuche hin und her, es kommt zur Städtepartnerschaft Dinkelsbühl-Schäßburg (2006/2007), bei jedem Heimattag hier und bei jedem Sachsentreffen in Siebenbürgen sind Verteter aus Siebenbürgen bzw. aus Deutschland dabei.

Unter dem Bundesvorsitzenden Dr. Bernd Fabritius werden diese freundschaftlichen Beziehungen noch bedeutend vertieft, es gibt überhaupt keine Reibereien mehr.

2007, als Hermannstadt Europäische Kulturhauptstadt war, wurde gemeinsam mit dem Verband der Siebenbürger Sachsen und dem Forum eine siebenbürgisch-sächsische Kulturwoche organisiert.

Zwei Jahre später wird eine Zweigstelle der Föderation im Hermannstädter Forumssitz eröffnet. Im selben Jahr (2009) wird zum ersten Mal gesetzlich eine Entschädigungsregelung für die Opfer des kommunistischen Regimes geschaffen, die auch die ausgewanderten Deutschen aus Rumänien mit einbezieht und seit einigen Jahren, durch Initiative unseres Abgeordneten Ovidiu Ganţ, auch deren Nachkommen.

In den folgenden Jahren wird die „Carl-Wolff-Gesellschaft“ gegründet, es wird Schloss Horneck durch vorbildlichen Einsatz vieler Spender gerettet sowie das Altenheim Blumenau in Kronstadt errichtet oder der abgebrannte Turm der evangelischen Stadtpfarrkirche in Bistritz wieder aufgebaut. All diese Beispiele zeigen den gemeinsamen Willen der Siebenbürger Sachsen aus Deutschland, Österreich, Siebenbürgen und Übersee.

Ein Höhepunkt dieser immer besseren Beziehungen war das große Sachsentreffen 2017 in Hermannstadt unter der Schirmherrschaft von Staatspräsident Klaus Johannis, unter der vozüglichen Organisierung durch das Siebenbürgen-Forum unter Martin Bottesch und des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland unter der Bundesvorsitzenden Herta Daniel. Einen besonderen Beitrag leisteten dabei auch die Heimatortsgemeinschaften unter Hans Gärtner. Ein erneuter Höhepunkt wird das diesjährige große Sachsentreffen Anfang August in Hermannstadt sein, zu dem ich Sie alle ganz herzlich einlade. Der Verband der Siebenbürger Sachsen unter dem Bundesvorsitzenden Rainer Lehni wird ebenso aktiv daran mitwirken wie die Siebenbürger Sachsen aus den anderen Ländern der Föderation: Österreich, USA und Kanada.

Meine Damen und Herren, Sie haben als Motto des heurigen Heimattages „75 Jahre Gemeinschaft – mach mit!“ gewählt. Gemeinschaft war schon immer wichtig für die Siebenbürger Sachsen. Ohne ihren sprichwörtlichen Gemeinschaftssinn hätten sie nicht fast 900 Jahr als Volksstamm überlebt, obwohl zu verschiedenen Zeiten das „finis saxoniae“ orakelt wurde. In einer von Individualismus und Egoismus geprägten Welt ist dieser Gemeinschaftssinn in Gefahr, vor allem weil es kaum noch kompakte siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaften gibt. Umso wichtiger ist deshalb dieser Gemeinschaftssinn nicht nur auf dem Niveau der Föderation, sondern vor allem an der Basis – hüben wie drüben. Gemeinschaft müssen wir auch auf europäischer Ebene ausüben, denn es gilt, unsere europäischen Werte zu retten. Vor allem die Jugend ist da gefordert, sowohl in Deutschland als auch in Siebenbürgen und vor allem ihr gilt das „Macht mit!“ Ich selber mache auch mit seit heute als neuestes Mitglied Ihres Verbandes.

Abschließend gratuliere ich unserem Jubilar und wünsche ihm alles erdenkbar Gute auch für die nächsten 75 Jahre!

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Schlagwörter: Heimattag 2024, Verbandsjubiläum, Festrede

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