3. Juni 2024

Edith Ottschofski las im Erasmus-Büchercafé in Hermannstadt

Wer ihren ersten Roman zur Hand nimmt, versteht schon beim Lesen der ersten Seite des Kapitels „Drei Rumänen mit dem Flüchtlingspass“, warum Ernst Jandl und Oskar Pastior zu den Dichtenden gehören, denen Edith Ottschofski Pastiches gewidmet hat, eine Art dichterische Reverenz. Dieses Buch lässt man sich lieber von der Autorin vorlesen, ohne die vielen Fußnoten, sozusagen am Trapez hängend ohne Sicherheitsnetz... Aber mit garantiertem mehr oder weniger lautem Gekicher ...
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Edith Ottschofski las im Erasmus-Büchercafé in Hermannstadt. Foto: Louise Ottschofski
Hier eine Kostprobe aus dem Roman „Luftwurzeln“ für diejenigen, die die längst fällige Lesung von Edith Ottschofski, die am 2. Mai im Erasmus-Büchercafé sehr gut besucht stattgefunden hat, verpasst haben: „Ich bin klein. Mein Herz ist unrein, also entschloss ich mich, eilends nach Rom zu peregrinieren, eins-zwei-Polizei, das heißt zu pilgern auf Rumäniendeitsch. In Lichtenberg am Bahnhof zu Berlinulescu, drei-vier-Grenadier, stieg ich ein in den Personenzug-personal und traf dort auf einen lesend lachenden Menschen.“

Besser als Nora Iuga kann man Ottschofskis Texte mit Beobachtungen in Berliner S-Bahnen nicht beschreiben, die in dem letzterschienenen Band „saumselige annäherung“ erschienen sind und von denen die Autorin in Hermannstadt einige gelesen hat. Die Grande Dame der rumänischen Dichtkunst bezeichnet sie als „Serie kurzer Szenen (...), in denen eine Zuschauerin, ein Junkie der Reisen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, wie eine Archivarin alles notiert, was das Bild eines Menschen einhüllt oder enthüllt, wenn dieser sich völlig ,anonym‘ wähnt, also frei! Aber ihr Blick ist der eines habgierigen Jägers, er kann von einer Handtasche ausgehen, von einem Paar Handschuhe, von einer bestimmten Frisur, einem Paar Ohrringe, einem Paar an den Knien eingeritzter Jeans und im Nu… fertig ist das Porträt! Das Äußere verrät das Innere; die Bestimmung der Wertigkeiten, der Anzahl der Sauerstoffatome, der Wasserstoffatome und anderer ,chemischer‘ Bestandteile. Auf diese Art führt Edith Ottschofski kaltblütig die minimalistische Radiografie eines unbekannten Individuums durch. Mir war, als würde ich die Tabelle von Mendelejew durchblättern. Sie geht nicht von dem Gedanken aus, dass die perfekte Radiografie des ,zeitgenössischen‘ Menschen vom Geschlecht bestimmt ist und von den abenteuerlichsten Auswüchsen dieses Garants des Lebens auf Erden. Sie nutzt ihre Beobachtungsgabe über Gebühr für die winzigen Dinge aus, die das konkrete Bild eines Menschen ausmachen, angefangen von der Kleidung, über eine bestimmte Art zu lachen oder sich an der Nase zu kratzen, einen Stuhl zu ergattern bis zur Inbesitznahme des umliegenden Raums mittels einer Einkaufstasche.“

Dem ist nur noch hinzuzufügen: Edith Ottschofskis Werke sollten (auch) mit lauter Stimme genossen werden. Oder als Hörspiel.

Beatrice Ungar


Edith Ottschofski: „Luftwurzeln“. Roman. Pop-Verlag, Ludwigsburg, 2016, 276 Seiten, 16,90 Euro, ISBN 978-3-86356-137-6.

Edith Ottschofski: „saumselige annäherung“. Gedichte. Mit bildnerischen Arbeiten von Ilse Hehn. Pop-Verlag, Ludwigsburg, 2022, kartoniert mit Schutzumschlag (bedruckt), 144 Seiten, 16,50 Euro, ISBN 978-3-86356-352-3.

Schlagwörter: Lesung, Hermannstadt, Ottschofski

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