24. Juni 2024

Rode bedeutet für alle immer noch Heimat: Reportage über das siebenbürgische Dorf

Wer wohnt hier – noch –, und wer arbeitet hier? Wer lebt nun in den vielen sächsischen Häusern der Gemeinde? Was verbirgt sich heute hinter den alten Fassaden mit Verzierungen aus Weintrauben, deutschen Sprüchen, Monogrammen und Jahreszahlen? Ich sehe lange, saubere Straßen, viele Häuser gut gerichtet. Die Bewohner tragen allesamt Arbeitskleidung, das ist eine Haus- und Hofkleidung, weil immer etwas getan werden muss, weil immer an etwas gearbeitet werden muss. Selbst auf den Grundstücken vor dem Haus werden noch Blumen und sogar Gemüse angebaut, jeder Platz wird ausgenutzt, um sich selbst zu versorgen.
Das stattliche Dorf Rode besteht nunmehr aus Rumänen und Roma. Zu den wenigen Sachsen, die noch hier leben, gehört in erster Linie Frau Wagner. Als einzige Sächsin im Ort ist sie nicht ausgereist. Sie ist Kirchenkuratorin. Will man die Kirche besichtigen, so weist ein Schild darauf hin, dass man bei ihr den Schlüssel abholen kann. Tapfer hat sie das bisher gemeistert und die Kirche so gut gepflegt, wie sie konnte. Nun aber ist sie im Alter selbst auf Pflege angewiesen und das Dorf verlassen kommt für sie nicht in Frage. So ist nun ihre Tochter aus Deutschland zu ihr gezogen, hat dort ihre Arbeit aufgegeben, um sich ganz der Mutter zu widmen und wieder im Dorf zu leben. Den letzten Winter haben sie schon gemeinsam verbracht. In ihrem Haus hängt selbstverständlich der bestickte Wandbehang „Siebenbürgen, süße Heimat“. Emsig bewirtschaften die Frauen auch den Garten und was eben alles anfällt in Haus und Hof. Gerade wird für die Hühner getrocknetes Kukuruz vom Kolben gelöst.
Blick auf Rode, 2023. Fotos: Sabine Breihofer ...
Blick auf Rode, 2023. Fotos: Sabine Breihofer
Mit der Tochter gehe ich eine Straße weiter und sie zeigt mir auch ihr Großelternhaus, ein geräumiges Haus mit hohen Decken. Hinter den Mauern tun sich die Schätze der Familie auf: bestickte Kissen, aufgetürmt auf dem hohen Bett, Stickereien an den Wänden, von Hand gewebte Leinenhandtücher, alte Familienfotos in Bilderrahmen, alte Möbel. Je mehr Stickereien eine Frau an den Wänden vorweisen konnte, desto mehr war sie für ihren Fleiß geachtet, lerne ich. Das Sächsische, das auf den Straßen des Dorfes komplett verschwunden ist, wird hier konserviert, in anderer Form. „De fedderscht stuff“ muss gelüftet werden, fast so wie früher, nur dass diese gute Stube niemand mehr betritt wie einst. Sie ist zu einem privaten Museum für die Angehörigen geworden. Hier bewahren sie ihre Tradition auf und erinnern sich gern an längst vergangene Tage, als noch sächsisches Leben im Dorf war. Die feine Weißstickerei der Kissen beherrscht auch die Enkelin der einstigen Hausbesitzerin, auf meine Nachfrage hin, schon nicht mehr. All die sächsischen Fertigkeiten scheinen im Dorf zurück geblieben zu sein. Auch ein „Baurtän“ findet sich in der Stube, den trug die Tochter von Frau Wagner zur Tracht, konsequent zu jedem Kirchgang bis zu ihrem 23. Lebensjahr, das gleichzeitig das Jahr ihrer Ausreise aus dem Dorf war.

Eine typische „Sommersächsin“ lebt hier auch. Schon früh im Jahr kommt sie zurück in ihre alte Heimat und bleibt bis weit in den November. Nur im Winter kehrt sie dem Dorf den Rücken, es ist ihr einfach zu kalt, sagt sie. Sie wohnt in ihrem eigenen Haus, das sie bis zur Auswanderung mit ihrer Familie bewohnte. Nun ist sie verwitwet, die Kinder erwachsen. Aber auch sie hütet noch ein anderes Haus, ihr Elternhaus, das ihr Sohn, ein tüchtiger Handwerker, hübsch renoviert hat. Auch sie lüftet dort die gute Stube mit aufgetürmtem Bett, Kissen, Stickereien und Bildern der Ahnen an der Wand.

Zu den Zurückgekehrten gesellt sich auch ein Frührentner. Nun lebt er wieder hier, mit zwei Hunden in einem kleinen, einfachen Haus zur Miete, denn das eigene gibt es nicht mehr. Heimgekehrt nach vielen Jahren, lässt es sich mit der wenigen Rente aus Deutschland hier im Ort etwas besser leben, wenn auch sozial vereinsamt und ohne wirkliche Perspektive.

Vor allem aber ist dies das Dorf von Adolf Hedrich. Was wäre er ohne sein Dorf und was wäre das Dorf ohne ihn? Niemand, der ihn nicht kennt. Überall wird er gegrüßt als „domnu Adolf“. Bekannt ist er in Siebenbürgen mittlerweile wie ein bunter Hund, weil er überall bei Veranstaltungen in seinem Kirchenpelz auftritt und unablässig für „eine Sache“ wirbt.

Seine Mission: die sächsische Kultur in Siebenbürgen darf nicht aussterben, Kirche und Schule müssen fortbestehen. Mit dieser Botschaft geht er mit Vorliebe zu den Größen in Politik und Kirche in Siebenbürgen und der Bundesrepublik. Beseelt von dieser Idee, trägt er sie überall und jedem vor. Mit seiner direkten Art eckt er leider oft an und geht manchen damit auch auf die Nerven, weil er oft über das Ziel hinausschießt. Aber das ist ihm nicht wichtig, Hauptsache seine Botschaft kommt an und voran. Für sein Heimatdorf und das Zusammenleben mit allen Einwohnern hat er sich vielfach eingesetzt, war Kirchenkurator, sogar Bürgermeister, hat nach der Wende als letzter Sachse noch einen landwirtschaftlichen Betrieb geführt und ist dann doch auch ausgereist, sehr spät. Nur um bald wieder zurückzukehren. Denn dieses Dorf ist seine einzige Heimat und seine Identität und nur hier ist er authentisch. Es bedeutet ihm mehr noch als seine Ehefrau, denn die lebt in Deutschland und zu ihr fährt er dann regelmäßig auf Besuch. Wirklich weg war er im Grunde nie. Und auch heute betreibt er wieder Landwirtschaft, hält Schafe, hat Apfelhaine, pflanzt Nussbäume und bewirtschaftet Felder und Äcker, wenn auch nicht selbst, sondern mit Helfern, die mal mehr, mal weniger willig sind. Das ist auch mühselig. Aber er beherrscht den Umgangston im Dorf, um mit allen zu kommunizieren.

Museale Sammlung in der Kirchenburg Rode ...
Museale Sammlung in der Kirchenburg Rode
Auch seine Tochter besitzt vor Ort ein Zuhause. Auch sie ist zurückgekehrt nach Siebenbürgen, als Deutschlehrerin in eine Großstadt und mit ihrer Familie kommt sie in den Ferien regelmäßig zurück ins traute Heim.

Für die Verbliebenen, die Zurückgekehrten, die Hinauf- und Hinabreisenden, für sie alle bedeutet ihr Dorf Rode Vertrautheit, Geborgenheit und immer noch Heimat.

Gottesdienst gibt es auch heute noch im Dorf. Alle zwei Wochen kommen die Gemeindemitglieder der Umgebung zusammen, aus Rode, Kleinalisch und Kleinlasseln, um Gottesdienst in der Kirche mit Frau Mutter zu feiern. So nannte man einst die Ehefrau des Pfarrers. Heute ist Frau Mutter selbst Pfarrerin und eine junge flotte Frau. Angelika Beer wird immer mit großer Freude erwartet und in höchsten Tönen gelobt. Sie bringt Schwung in die Gemeinde, „spielerisch, aber dennoch ernst“, wie ein Gemeindemitglied erzählt. Danach sitzen die Kirchgänger noch gerne zusammen im Gemeindesaal nebenan bei Hanklich von großen Blechen. Freudig tauschen sie sich aus. Man hält tapfer zusammen in der Diaspora. In der Kirchenburg gibt es auch eine museale Sammlung mit altem sächsischem Inventar, in der ehemaligen Burghüterwohnung. Lässt man die Kirchenburg hinter sich, gelangt man zu dem lauschig gelegenen Waldfriedhof. Die Nadelbäume dort erzeugen selbst bei wenig Wind ein leises Rauschen und ich werde sogleich von einer wunderbaren Stimmung erfasst. Auch der Friedhof ist verschlossen, wie die Kirche. Ein Schild weist auch hier darauf hin, dass der Schlüssel zum Tor abgeholt werden kann.

Was gibt es im Ort heute für Möglichkeiten? Zwei Schulen, davon ist eine die ehemalige deutsche Schule, einen Kindergarten, drei Lebensmittelläden, eine Post, einen Arzt, eine Apotheke, eine Polizeistation, aber keinen Geldautomaten und keinen Busverkehr auswärts. Die nächste Bank ist in Elisabethstadt, 15 km entfernt. Aber wie hinkommen ohne Bus und ohne eigenes Auto? Ein richtiges „Ledjef“ gibt es auch nicht. Tagsüber trifft man sich rund um den Supermarkt, der sozusagen den Lebensmittelpunkt des Dorfes bildet, gleich an der Hauptstraße, gegenüber liegt das Rathaus. Hier stehen die Leute zusammen, lehnen an den Wänden des Einkaufsmarkts und tauschen sich aus, Groß und Klein bei Eis, Bier oder Kaffee. Früher hießen die Läden Alimentara, heute sind es Filialen großer Konzerne. Sobald der Supermarkt schließt, wird es ruhig im Ort. Abends kann man noch zu dem anderen Laden, zu Cristina, gehen, der nebenbei noch einen kleinen Raum zum Sitzen und Trinken hat.

Arbeit gibt es hier wenig, Handwerksbetriebe keine. Eine Handvoll Betriebe, die Landwirtschaft betreiben, Schafhaltung und Ackerbau. Am Dorfrand sieht man verlassene Gebäude einer ehemaligen Staatsfarm. Das war einmal die Gostat, größter Arbeitgeber der Kommune, in Zeiten des Kommunismus. Im Dorf selbst die nächste Ruine, das war einmal die Reparaturwerkstatt der Gostat. Alles längst Geschichte. Wenige Stellen in der Verwaltung im Rathaus, in Schule und Kindergarten gibt es, ein paar beim Gaswerk Romgaz. Es ist ein Dorf von Rentnern. Wer hier keine Arbeit findet, muss nach Deutschland fahren, um dort sein Geld zu verdienen, meist in der Landwirtschaft. Tatsächlich hat diese Arbeitsmigration in Rode schon früh begonnen, bereits in den 2000er Jahren. Und so stehen etliche Bewohner ganz gut da. Das bedeutet aber auch zerrissene Familien, Eltern, die hin- und herfahren, und Kinder, die bei nur einem Elternteil oder den Großeltern aufwachsen. Und dann ist da noch die junge Roma. Mit 22 Jahren hat sie schon fünf Kinder. Das jüngste wird noch gestillt. Auch ihr Mann arbeitet zeitweise in Deutschland und sie muss dann ohne ihn mit den Kindern zurechtkommen. Ihr ältester Sohn geht jetzt in die erste Klasse. Sie wohnen zur Miete in einem ehemaligen sächsischen Haus. Diese Kinder werden einmal die Zukunft des Ortes mitbestimmen. An ihnen liegt es nun, etwas aus sich und dem Dorf zu machen. Wie werden sie das Dorf prägen? Oder werden auch sie eines Tages auswandern?

Sabine Breihofer

Schlagwörter: Rode, Dorf, Heimat, Kirchenburg

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