1. August 2022
In Mediasch wird ein bedeutender Bücherschatz aus dem 14.-16. Jahrhundert gehoben
„Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen!“ Das bekannte Zitat aus Goethes Faust könnte gut als Motto der Historikerzunft stehen, die versucht, das lückenhaft überlieferte Wissen über unsere Vergangenheit zu sammeln, so weit wie möglich zu verstehen und zu ergänzen, um ein möglichst klares Bild davon zu gewinnen, woher wir kommen. Wer nun die siebenbürgisch-sächsische Vergangenheit studieren will, hat erhebliche Mühe, die Quellen aufzuspüren, denn viele gingen im Laufe der Jahrhunderte durch Kriege und Feuersbrünste, auch aus Unachtsamkeit verloren oder finden sich recht willkürlich verteilt in verschiedenen Archiven und Bibliotheken Siebenbürgens und Europas.
![Jahrzehntelang lagerten die „alten Schwarten“ ...](/bild/artikel/normal/2022/mediasch_projekt_schriftlichkeit_1.jpg)
Bereits vor geraumer Zeit hat Dr. Dincă zusammen mit der evangelischen Kirchengemeinde und der HOG Heltau ein Projekt umgesetzt, das von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) gefördert wurde und zum Ziel hatte, rund zwanzig wertvolle Kodizes, Inkunabeln und Drucke aus dem 16. Jahrhundert zu sichern, professionell zu restaurieren und wissenschaftlich zu erforschen. Kürzlich nun trat Dr. Dincă an die evangelische Kirchengemeinde und die HG Mediasch mit dem Vorschlag heran, ein ähnliches Projekt auch in Mediasch durchzuführen. Aufgrund einer ersten Sondierung wurde die Zahl der in Frage kommenden Werke auf 40-60 Stück geschätzt. Daher wurde für Mediasch ein Projekt formuliert, „das der Sicherung, virtuellen Bestandsrekonstruktion, wissenschaftlichen Erfassung, Interpretation und Einordnung des Schriftgutes dienen soll, das in der Stadt Mediasch seit Mitte des 14. Jahrhunderts bis zum Ende des 16. Jahrhunderts gelesen und gesammelt oder auch geschaffen worden ist: Codices, Inkunabeln, Frühdrucke und sonstige Quellen“.
![Profis am Werk: 135 Druckwerke, alle vor 1599 ...](/bild/artikel/normal/2022/mediasch_projekt_schriftlichkeit_2.jpg)
Die ersten Arbeiten vor Ort wurden vom 13. bis 17. Juni 2022 durchgeführt. In einem ersten Schritt wurden die Druckschriften identifiziert, die aus der Zeit vor 1600 stammen, und an einen für die Lagerung der ältesten Bücher der ehemaligen Pfarr- und Gymnasialbibliothek geeigneteren Ort gebracht. Im Rahmen dieser schwierigen Operation erfolgten die Auswahl, teilweise Reinigung und stufenweise Umbettung von etwa 135 Büchern in den Sitzungssaal des Pfarramts. Für die Beförderung der durchschnittlich 2,5 kg schweren Bände wurde dank der Initiative eines Mitarbeiters der Mediascher Kirchengemeinde ein Flaschenzug installiert. Bei der Reinigung halfen dank der Vermittlung von Pfarrer Wolfgang Árvay auch Jugendliche der ev. Kirchengemeinde Mediasch mit, die als Kirchenführer in der Margarethenkirche beschäftigt sind.
![Beim näheren Hinsehen erkennt man auf den ...](/bild/artikel/normal/2022/mediasch_projekt_schriftlichkeit_3.jpg)
Parallel erfolgte vor Ort eine erste schriftliche Erfassung der Funde. Für alle Kodizes und Dokumente wurden erfasst: Titel, Einbände, Besitzvermerke und handschriftliche Notizen vor allem auf den Vorsatzblättern der Drucksachen. Hinzu kam die detaillierte Dokumentation der gefundenen Fragmente alter Pergamenthandschriften.
![Detail aus einem Druckwerk des 15. Jahrhunderts. ...](/bild/artikel/normal/2022/mediasch_projekt_schriftlichkeit_4.jpg)
Die fünf Tage waren sehr arbeitsintensiv, alle machten begeistert von 7:30 bis 19.30 Uhr (mit kurzer Essenspause) mit, auch bei den unangenehmen und anstrengenden Transport- und Reinigungsaktivitäten. Vorbildlich hilfsbereit waren die Mediascher Pfarrer Hildegard und Gerhard Servatius-Depner und Wolfgang Árvay sowie die Kirchenmutter Ursula Juga-Pintican.
Die wichtigsten Ergebnisse dieser ersten Phase der Sicherungs-, Dokumentations- und Forschungsarbeiten sind folgende: Mit 135 Stück wurde eine weitaus größere Anzahl an alten Büchern vorgefunden als die geschätzten etwa 60. Etwa 95 % dieser Bücher verfügen noch über den Originaleinband, sind datiert und mit Besitzvermerken versehen, was im internationalen Vergleich außergewöhnlich ist und eine bemerkenswerte Forschungsgrundlage für dieses Projekt darstellt. Es wurde zudem eine große Anzahl von Bänden gefunden, die im Unterricht verwendet wurden, wie z. B. Lehrbücher für Latein. Viele dieser Bücher stammen aus den Federn von Luther, Melanchthon und Calvin, dazu kommen patristische und hebräische Texte. Als herausragendste Funde, beide leider stark beschädigt, erwähnen wir eine Inkunabel aus der Zeit vor 1470 – sie ist einzigartig in Rumänien und bisher nicht im Gesamtkatalog der Wiegendrucke aufgeführt – und eine Bibel aus dem Jahr 1511.
![Liturgische Handschrift auf Pergament, um 1500. ...](/bild/artikel/normal/2022/mediasch_projekt_schriftlichkeit_5.jpg)
Ein weiterer Arbeitseinsatz vor Ort ist im August geplant. Insgesamt ist das Projekt bis Ende 2023 terminiert.
Hansotto Drotloff
Schlagwörter: Mediasch, Dokumentation, Bücher, BKM
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