9. Mai 2024

Die „Original Siebenbürger Tracht“: Wer bestimmt, was wir tragen? Ein Gespräch über Tracht, Tradition und den Trubel am Heimattag

Im evangelischen Gemeindehaus wird es beim Heimattag 2024 wieder Stände geben, an denen Trachtenteile, (Trachten-)Schmuck, Kunsthandwerk, Fan-Artikel, Bücher und einiges mehr erworben werden können. Unter all die siebenbürgisch-sächsischen Anbieter hat sich vor einigen Jahren die Fränkin Dagmar Rosenbauer gemischt, die die Tracht mindestens genauso liebt wie wir und mit ihrer Firma „Flitterkränze“ an Pfingsten in erster Linie Trachtenbänder verkauft. Da Trachten ihr Lebensthema sind und sie sich als Nicht-Sächsin auf den Heimattag wagt, wollte Bundeskulturreferentin Dagmar Seck diese Frau unbedingt kennenlernen. Sofort schlug sie vor, zu dem Gespräch im fränkischen Kunreuth auch Gerda Popa und ihre Tochter Ute Läufer einzuladen, die lange selbst einen Stand in Dinkelsbühl hatten. Eine wunderbare Gelegenheit, etwas über siebenbürgisch-sächsische Handarbeit, Tradition und Wandel sowie die heutige Textilindustrie zu erfahren.
Bundeskulturreferentin Dagmar Seck (rechts) im ...
Bundeskulturreferentin Dagmar Seck (rechts) im Gespräch mit Dagmar Rosenbauer (links in fränkischer Werktagstracht) und Gerda Popa, von der einige Handarbeiten auf dem Tisch zu sehen sind. Foto: Roland Rosenbauer
Frau Rosenbauer, wie kommt es, dass Sie am Heimattag der Siebenbürger Sachsen einen Stand haben?

Dagmar Rosenbauer: 2017 besuchte ich den Heimattag und stellte fest, dass viele Trachtenbänder identisch sind zu dem, was ich in meinem Laden anbiete. Und weil es immer schwieriger wird, an Material zu kommen, habe ich mich gefragt, ob mein Angebot für die Siebenbürger Sachsen interessant sein könnte. 2018 wurde ich mit einem Stand zugelassen und da habe ich Gerda kennengelernt.

Gerda Popa: Ich komme aus Elisabethstadt. Von 2002 bis 2019 hatte ich einen Stand in Dinkelsbühl und zunächst bemalte Teller angeboten. Weil große Nachfrage nach Trachten herrschte, habe ich einige Freundinnen kontaktiert und sie angelernt. Wenn die Damen ein wenig Zeit hatten, haben sie gestickt, und ich habe die einzelnen Teile zu Hemden zusammengenäht. Die vielen kleinen Kreuzstiche brauchen Zeit, für ein Hemd muss man drei Monate rechnen. Die Muster kamen aus der Sigerus-Mappe.

Wo haben die Frauen früher sonst noch Ideen für ihre Stickereien gefunden?

Ute Läufer: Ich habe von Dörfern gehört, wo es nur ein einziges Herrenhemd-Muster gab, weil es typisch fürs Dorf war. Anderswo haben Frauen von der Nachbarin abgenäht und da gab es dann drei, vier verschiedene Hemdenmuster. Manchmal hat eine Frau ins Nachbardorf geheiratet und neue Muster mitgebracht.

Frau Popa, haben Sie und Ihre Damen nie gesagt: Kommt, wir machen mal etwas Neues?

Popa: Nein.

Rosenbauer: Ich denke, dass das heute zu statisch betrachtet wird, auch von Trachtengruppen, die sagen: Dieses Muster haben wir immer so in unserem Dorf gehabt. Ich weiß aus Trachtenbefragungen, dass die Menschen früher viel flexibler in der Gestaltung waren. „Oh, dieser Laden hat einen neuen Stoff, den nehmen wir für unsere Festtagstracht.“ Dann haben andere das gesehen und wollten es auch. Man hat verarbeitet, was es gab. Wenn Leute sagen, das sei immer so gewesen, dann ist es schwierig, weil das nicht so war. Natürlich gibt es auch Sachen, die nicht zu einer Tracht passen. Es gibt in jeder Gegend eine Obergrenze für das, was toleriert wird.

Passende Teile könnten nach alten Vorlagen selbst handgemacht oder aber gebraucht gekauft werden, doch ist das nicht immer möglich. Wie ist das bei den Bändern?

Rosenbauer: Wenn Sie neue Bänder nach alten Mustern herstellen lassen wollen, ist die Mindestabnahmemenge auf modernen Maschinen 10000 Meter. Sie bräuchten dann noch jemanden, der das finanziert, und am Ende hätten alle die gleichen Muster. Wenn man die Vielfalt erhalten will, gibt es manchmal Restbestände zu kaufen. Wenn die weg sind, bleibt nur noch eine Weberei in Deutschland, die gestreifte Stoffe nach historischem Original weben kann. Das Muster muss man in Streifen schneiden, den Rand umbügeln und das Ganze auf ein Trägerband aufnähen, um daraus Meterware zu machen. Dabei muss alles so aneinandergesetzt werden, dass der Ansatz unsichtbar wird. Ich habe das ausprobiert und aus drei Metern Stoff 54 Meter Bordüre hergestellt. Arbeitsaufwand ca. 30 Stunden.

Popa: Beim letzten Verkauf in Dinkelsbühl ruft mich meine Tochter und sagt: „Mama, schau dir dieses Hemd an!“ Als ich es mir genauer ansehe, ist es Siebenbürger Kreuzstich als Siebdruck auf Leinen bei einem Männerhemd! Das ist nicht mehr Siebenbürger Arbeit.

Was ist denn für Sie Siebenbürger Arbeit?

Popa: Handarbeit und von den alten Trachten abgeguckt. Drei Tage brauche ich, um eine Krawatte zu besticken. Läufer: Das ist ein Hobby, denn lohnen tut es nicht. Was mich am meisten ärgert, ist, wenn Leute kommen und uns anmaulen, was uns einfällt, 200 Euro für ein Hemd zu verlangen. Und dann sage ich: Sitzen Sie mal drei Monate da dran, da verdienen Sie nicht einmal zwei Euro die Stunde.

Rosenbauer: Würde man Gerdas Hemden den Mindestlohn zugrunde legen, müsste eine Null drangehängt werden. Dann sind wir bei 2000 Euro und der Preis wird realistisch.

Führt also kein Weg daran vorbei, die Trachten irgendwann an neue Materialien oder Muster anzupassen?

Rosenbauer: Wenn ich mich viele Jahre lang mit der historischen Festtracht beschäftigt habe, komme ich bestenfalls zu dem Punkt, an dem ich weiß, wo ich die Tracht etwas mehr an den heutigen Zeitgeschmack anpassen kann. Ich rede von Kniffen, nicht von großen Veränderungen.

Sie würden aber gerne einiges ändern?

Rosenbauer: Die historische Tracht soll nicht verändert werden, das würde ich bei unserer Gegend selbst nicht wollen. Was mich aber nachdenklich macht, ist, wenn ich am Samstag in Dinkelsbühl Mädchen im Oktoberfestdirndl Made in Pakistan sehe, die sich bayerisch verkleiden. In alten Büchern sehe ich, dass es auch in Siebenbürgen Werktagstrachten gab. Warum denkt ihr nicht darüber nach, ob darin etwas steckt, was tragbar ist? Da kann man kreativ werden und Ideen entwickeln. Ich habe mir überlegt, es mal zu probieren und einen Vorschlag zu machen. Bestimmt setze ich mich damit ins Fettnäpfchen und es wird heftige Diskussionen geben, aber so kommt Bewegung in das Thema.

Wie ist das beim Heimattag? Wissen die Kunden, was sie brauchen?

Läufer: Meistens kommen ganze Familien mit Oma und Papa. Und dann entscheidet die Frau: „Nimm das Hemd! Nein, das Muster ist breiter. Nein, da kommt die Krawatte besser raus.“ Es kauft selten einer einzeln was.

Rosenbauer: Die Oma ist griffsicher. Das ist am einfachsten für mich, denn ich muss nicht nachdenken. In der Fränkischen Schweiz weiß ich, was ich empfehle. Aber in Siebenbürgen sind Dörfer, über die habe ich Bücher unter dem Ladentisch. Die ziehe ich dann hoch, wenn ich unsicher bin. Oder ich gehe zu Nachbarständen: „Wisst ihr was? Seid ihr von da? Die Frau weiß nicht, ob sie nun Weiß oder Blau nehmen soll.“ Und dann wird diskutiert und so versucht man es einzukreisen, damit die Leute seriös beraten werden. Mit der Zeit wird mein Wissen mehr, und wenn ich der Meinung bin, etwas passt nicht zu einer bestimmten Tracht, dann sage ich das auch.

Danke für das aufschlussreiche Gespräch! Ich wünsche Ihnen einen schönen Heimattag und viele gute Gespräche. Wer Trachtenteile und -schmuck sucht, findet Sie und die anderen Anbieter am Samstag und Sonntag von 9.00 bis 18.00 Uhr im zweiten Stock des evangelischen Gemeindehauses, Nördlinger Straße 2, in Dinkelsbühl.

Teile des Interviews finden Sie auf dem YouTube-Kanal der Flitterkränze: www.youtube.com/watch?v=XIjtEuBfF0w. Weitere Zusammenschnitte folgen.

Schlagwörter: Heimattag 2024, Trachten, Tradition, Rosenbauer, Seck

Bewerten:

24 Bewertungen: +

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.